Nicht fabelhaft!

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r.e.r. Avatar

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Ella und Paul entdecken bei Spielen im Haus ihres Onkels einen alten schwarzen Regenschirm. Der staatlich geprüfte Meteorologe sammelt diese und pflegt seine diversen Exemplare mit großer Sorgfalt. Von dem verstaubten altmodischen Stück wusste er jedoch nicht einmal mehr, dass er es besaß. Da es draußen gerade regnet, beschließen die Kinder hinaus zu gehen und den Schirm vom Regen sauber waschen zu lassen. Doch kaum haben sie ihn geöffnet passiert etwas unerwartetes.

Zeitreisengeschichten sind, nicht erst seit dem magischen Baumhaus, bei Kinder sehr beliebt und dementsprechend erfolgreich. Aus diesem Grund hat der Loewe Verlag wohl auch eine neue Serie aus diesem Genre ins Programm genommen: den „fabelhaften Regenschirm“. Der erste Band ist, meiner Meinung nach, jedoch nicht fabelhaft sondern eher unausgegoren.

Zwei Kinder spannen einen Schirm auf und finden sich plötzlich in einer anderen Umgebung wieder. Die Autorin verzichtet dabei auf sämtliche Hinweise, die erklären wie die Kinder durch Raum und Zeit reisen. Als Vorlesepatin weiß ich, dass junge Zuhörer hier sofort nachhaken. Eine Erklärung wird aber auch am Ende, wenn die Kinder zurückreisen nicht gegeben. Bleibt also die Möglichkeit mit den Kindern gemeinsam zu raten. Vielleicht ist das so gewollt. Rein instinktiv würde ich jedoch vermuten hier hat es sich jemand einfach gemacht.

Einfach ist auch das restliche Strickmuster der rund 120 Seiten. Eine sonnige Kleinstadt in der merkwürdiges vor sich geht. Menschen in Winterkleidung führen an einem heißen Sommertag Schafe an der Leine spazieren. Eisverkäufer bieten frisches Gemüse in der Waffel an. Rentner tollen auf einem Kinderspielplatz herum. Hunde werden eingefangen und auf den Bauernhof gebracht wo sie mit Katzen im Stall leben, während die Kühe in der Küche der Bäuerin wohnen. Ein buntes Sammelsurium diverser Verrücktheiten, deren Ursprung die 9jährige Ella und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder dringend auf den Grund gehen wollen. Umso mehr als ihr Hund Cirrus dem Hundefänger in die Hände geraten ist und im Kuhstall fesgehalten wird.

Auf den ersten Blick wirkt der zugrunde liegende Plot vielversprechend. Mich hat aber gestört, dass die Ideen so planlos wirken. Beispielsweise lassen sich Fahrräder nur rückwärts treten, wie die Kinder feststellen. Warum fahren die Autos dann aber nicht auch rückwärts? Wenn alte Menschen auf dem Spielplatz tollen, warum gehen die Kinder dann nicht beispielsweise mit dem Krückstock durch die Gegend? Der Einfall zur Begrüßung „Tschüss“ zu sagen und zum Abschied „Hallo“ wird ebenso wenig durch den ganzen Roman gezogen, wie die Kleiderfrage. Manche Figuren tragen Winterkleidung andere nicht. Das sind Kleinigkeiten, die in der Summe für mich die fehlende Qualität des Buches belegen.

Dazu kommt die fehlende sprachliche Qualität. An einer Stelle heißt es: „Wie wäre es mit einem Eis? Der Bürgermeister kaufte jedem von Ihnen sein Lieblingseis. Ella schleckte zufrieden ihr Eis. Schokoladeneis hat noch nie so gut geschmeckt, dachte sie. Paul liess Cirrus sein Erdbeereis probieren.“ Eis, Eis, Eis in jedem Satz. Dabei wäre es so leicht hier ein wenig Variation in den Text zu bringen und ihn dadurch auch wesentlich geeigneter zum Vorlesen zu machen:

Wie wäre es mit einem Eis, sagte der Bürgermeister und kaufte jedem der Kinder eine große Portion. Ella schleckte zufrieden an zwei Kugeln Schokolade und dachte dabei, dass es ihr noch nie so gut geschmeckt hatte wie heute. Paul hatte sich für Erdbeere entschieden und ließ Cirrus von seiner Waffel probieren.

Einfach ist gut, aber zu einfach darf man es sich nicht machen. Ein gutes Kinderbuch erkennt man daran, dass auch jugendliche oder erwachsene Leser es mit Freude und Gewinn lesen können. Das ist hier nicht der Fall. Ich würde daher dringend vom Kauf abraten, mag das Titelcover noch so einladend gestaltet sein. Geben Sie Geld lieber für Werke von Astrid Lindgren, Ottfried Preußler, Michael Ende oder (um bei noch lebenden Autoren zu bleiben) für Cornelia Funke, Daniel Napp, Franziska Gehm oder Sven Nordquist aus. Da haben Sie Literatur, die sie ihren Kindern und später noch ihren Enkeln vorlesen können und sie werden sich auch selber zeitlebens immer wieder gerne mit diesen Büchern befassen.