Der freie Hund

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Nachdem er sich mit der sizilianischen Mafia angelegt hat, wird Commissario Antonio Morello zu seiner eigenen Sicherheit nach Venedig versetzt. Die Stadt, die alle in Verzückung versetzt, löst bei ihm nicht ansatzweise Begeisterung aus, viel lieber würde er zu Hause seinen Kampf fortsetzen. Auch die neuen Kollegen empfangen ihn mit wenig Freude, was soll ein Süditaliener in ihrer beschaulichen Lagunenstadt? Schon gleich erwartet Morello ein Mord, der ihm die Regeln Venedigs vor Augen führt: Der Spross einer wohlhabenden Familie wird erstochen aufgefunden. Als Anführer einer Studentenbewegung gegen Kreuzfahrtschiffe hat er sich eine Reihe von Feinden gemacht, doch wer wäre ernsthaft in der Lage, ihn für seinen Kampf für die Umwelt der Heimatstadt zu ermorden? Dass nicht nur in Sizilien Politik und Verbrechen eng verbandelt sind, überrascht Morello nicht wirklich, es macht die Aufklärung des Falls aber auch nicht leichter.

Mit seinen Kriminalromanen um den Privatermittler Georg Dengler hat der Autor Wolfgang Schorlau wiederholt bewiesen, dass das vermeintlich seichte Spannungsgenre das Potenzial hat, gesellschaftliche Missstände unterhaltsam aber doch kritisch in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Nie erzählt er nur eine Geschichte, es steckt immer viel mehr dahinter. Nun ein gänzlich neues Setting mit italienischem Ermittler vor Bilderbuchkulisse und noch dazu in großer Konkurrenz zu Donna Leon, die fraglos mit ihrem Commissario Brunetti Venedig eigentlich schon fest in ihrer Hand hält. Der Auftakt hat mir insgesamt gut gefallen, er hat aber noch Luft nach oben gemessen an anderen Romanen Schorlaus.

„Der freie Hund“ greift gleich zwei umstrittene Themen auf. Seit Jahren leidet die Serenissima unter der Masse an Touristen, die sie zu erdrücken droht. Einheimische werden mehr und mehr verdrängt, Mieten sind unbezahlbar und die Geschäfte richten sich mehr an den zahlungskräftigen Besuchern denn an den Bedürfnissen der realen Bewohner aus. Mit den riesigen Kreuzfahrtschifften kommt erschwerend die Belastung Umwelt hinzu, weshalb die Wirtschaftskraft Tourismus zunehmend kritisch gesehen wird. In genau diesen Konflikt platziert Schorlau seinen Mordfall, der zunächst vor allem viel Einblick in die Gesellschaftsstruktur gibt. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr rückt jedoch Morellos ganz eigenes Thema ins Zentrum. Der Glaube, die Mafia operiere nur im Süden des Landes, kann nur einer grenzenlosen Naivität oder einem bewussten Augenverschließen geschuldet sein und so wird schon bald offenkundig, was lange Zeit nur der Commissario sieht: die Lagunenstadt wird ebenso für die Interessen der Clans genutzt, wie auch Palermo.

Die beiden Themen verknüpfen Schorlau und sein italienischer Kollege Caiolo in ihrem Krimi geschickt miteinander. Mehr noch als der eigentliche Mordfall haben mich die Figuren überzeugen können, das Personal der Questura bietet einige interessante Ermittler, die in weiteren Fällen noch spannende Aspekte liefern dürften. Vor allem Morellos kleinkrimineller Freund jedoch wird einem sofort sympathisch, was auch positiv auf den Ermittler abfärbt, der so nicht nur wie ein gesetzestreuer und ernsthafter Commissario wirkt, sondern zeigt, dass er durchaus eine gewisse Grauzone geben kann. Insgesamt eine unterhaltsame Angelegenheit, die für meinen Geschmack allerdings etwas weniger italienische Kulinarik, sondern noch mehr politische Brisanz hätte haben dürfen, das Abdriften zum etwas seichten cosy crime gelingt nämlich gerade noch so.