Ein anderer Blick auf Venedig - fernab der Romantikvorstellung

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
marie aus e Avatar

Von

Commissario Antonio Morello braucht ständig einen Espresso und hasst Venedig, so wie seine neuen Kollegen ihn verabscheuen. Schließlich kommt er aus dem Süden, damit ist für die Bewohner Venedigs schon alles gesagt. Dass mit seiner Besetzung für zwei Kolleg*innen Karrierehoffnungen zerstört wurden, macht den Start nicht leichter.

Das Coverbild deutet es schon an - die Kreuzfahrtindustrie, die Venedig nachhaltig schädigt, ist auch Thema des Krimis.
Der eigentliche Fall, den der Commissario gegen viel Widerstand aufklären will, gerät im Buch fast in den Hintergrund. Er ist präsent, ja, aber sehr viel geht es auch um das Leben in Venedig.
Um die Veränderungen, die der Massentourismus mit sich bringt. Ich fand den Einblick total spannend und habe ganz viel Neues erfahren. Etwa, dass Venedig eigentlich winzig ist, gerade einmal 56.000 Einwohner - und nicht die Stadt, sondern die Region das Schicksal der Stadt prägt. Diese hat ganz andere Interessen.

Auch das Lebensgefühl, Einkauf auf den Markt, aber auch das fürchterliche, sich im Alltag ständig durch Touri-Massen durchquetschen müssen wird überzeugend vermittelt. Hungrig sollte man jedenfalls das Buch nicht in die Hand nehmen, denn der Commissario kocht auch noch gut.

Die Vorurteile, die innerhalb der Landstriche Italiens vorherrschen, die Verflechtung von Mafia und Politik und die Charaktere, die alle menscheln - superspannend, für mich viel spannender als der eigentliche Fall.

Puristische Krimifans könnten vielleicht von dem Buch etwas enttäuscht sein - wenn man aber auch einen Einblick in das Venedig-Alltagsleben bekommen möchte und gerne auch "Drumherum" mag, dann ist es ein absolut empfehlenswertes Buch.

Und obwohl mit kritischem Blick geschrieben, schafft es das Autorenduo, dass man sich wie nach Venedig gebeamt fühlt, gerade jetzt ein kleiner gedanklicher Urlaub. Danke dafür.