Enttäuschte Erwartungen

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maenade Avatar

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Ich hatte dieses Buch mit Spannung erwartet. Die Georg-Dengler-Reihe von Wolfgang Schorlau lese ich ausgesprochen gerne, auch wenn mich - das muss ich in der Rückschau jetzt feststellen - Dengler als Figur manchmal nervt. Das machen die wirklich spannenden und gut recherchierten Fälle aber mehr als wett. Meine Erwartung wurde schon etwas getrübt durch die Stellungnahme von Petra Reski zum freien Hund (im Netz zu finden), die den Autoren unterstellt, von ihr abgeschrieben zu haben. Die Autoren weisen die Anschuldigung zurück, in der nächsten Auflage des Buches wird der Dank an Reski gestrichen sein und eine Nebenfigur, eine Journalistin, nicht mehr Petra Mareschi heißen. Ich kann nicht überprüfen, wieviel an Reskis Anschuldigungen dran ist, aber für mich hat es einen Schatten über das Buch geworfen.
Die Geschichte, die in dem Buch erzählt wird, ist eine solide Krimihandlung: Kommissar Antonio Morello wird nach Venedig versetzt. Eigentlich zu seiner Sicherheit, in Sizilien wird er von der Mafia bedroht, nachdem er dort einiges gegen sie erreicht hat, empfindet er die Versetzung dennoch als Strafe. Gleich an Tag 1 erwischt er einen Straßendieb, der ihm später häufiger nützlich sein wird, und erfährt die ersten Dinge über die Probleme die die Stadt Venedig mit dem Tourismus, von dem sie doch eigentlich lebt, hat. Dann geschieht ein Mord an einem, der gegen das neue Kreuzfahrtterminal demonstriert hat.
Venedig wird geschildert als das Dorf, das es wohl für die Menschen ist, die dort leben, das völlig aufgefressen wird von den Auswüchsen des Massentourismus. Und wie überall in Italien - wie möglicherweise überall? - hat auch hier die organisierte Kriminalität eine Hand im Spiel mit dem großen Geld. Morello deckt das auf, gegen den Widerstand der eigenen Vorgesetzten, und nimmt dabei Gefahr für sein Leben in Kauf.
Das alles hätte mich gut unterhalten können. Allerdings hat mich die Figur Antonio Morello dabei gestört. Er wird als "echt" charakterisiert, indem er dauernd flucht, OK. Er himmelt gleich mehrere Frauen an, bezeugt ihnen höchsten Respekt, spricht über ihre Schönheit, ... - Ich glaube, ich bin nicht die einzige Frau, die lieber ernst genommen werden möchte als angehimmelt. Warscheinlich würden die Autoren jetzt erwidern, dass sie doch genau das tun wollen - allein, es funktioniert nicht. Der Blick auf die Frauenfiguren ist irgendwie schräg. Nicht nur Morello, auch seine Mitarbeiter sind eher Abziehbilder eines italienischen Klischees, mal positiver, mal negativer besetzt: Fluchen, Frauen anhimmeln, Kaffee aus Tassen mit frauenherabsetzenden Bildern trinken, tricksen. Frauen haben Feuer. Ja klar, einiges davon, vermutlich das meiste, hat wahre Entsprechungen, aber es ist so gehäuft, so überzeichnet. Vermutlich aus Gründen der Dramaturgie, um die Informationen dem Leser als Teil der Handlung zu verkaufen, erklärt Morello seinen venezianischen Kollegen, wie das so ist mit der Mafia, in welche Geschäfte die verwickelt ist, dass sich ihr Einflussgebiet weit über Sizilien hinaus erstreckt. Das wissen auch Venezianer. Das weiß eigentlich jede*r in Italien. Und jede*r außerhalb, der oder die sich ein bisschen dafür interessiert. Es ist also unglaubwürdig, wenn Morellos Gesprächspartner das nicht wissen (das gilt ähnlich auch für Gerichte aus dem Süden, die im Norden nicht ganz so unbekannt sind, wie hier behauptet wird). Das ist insgesamt ganz schön viel, was mich hier stört. Und anders als bei der Dengler-Reihe reicht mir der Plot, die Geschichte, das Drumrum bei diesem Buch nicht, um das auszugleichen. Mir ist das alles zu konstruiert, zu männerzentriert, zu Klischee befrachtet. Schade.