Der Erste Mai 1953, eine Nacht am Bodensee

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lindarabbit Avatar

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Schon die ersten Seiten und Einstieg in das Buch (Aufbau Verlag, "Der Frühling ist in den Bäumen" von Jana Revedin) kommen sehr stark:
Renina wacht auf, neben ihr liegen zwei nackte Menschen, die sie am Abend zuvor kennenlernte. Schmerzhaft muss sie erkennen, dass ihr drogensüchtiger Mann (ein Atomphysiker der Nazizeit) sie betäubt hat und sie in diesem Zustand Teil einer Orgie wurde. Als sie ihren Mann Fred zur Rede stellt, vergewaltigt er sie nochmals. Daraufhin offenbart sie ihrem Gatten von einem Jahr, dass sie die Scheidung will.
Mit Rückenschmerzen steht sie am Ufer des Bodensees, sieht Frühlingsanzeichen (1. Mai 1953) und trifft auf eine bemerkenswerte Frau. Trotz ihrer seelischer Pein und ihren dunklen Gedanken zur Scheidung von ihrem berühmten Mann bewältigt sie einen Tag voller Erlebnisse (die Frau Traut und das bevorstehende Konzert einer jungen Japanerin, ihre Eltern, ihr Freund Basil, ihre plötzlich ankommende Freundin und eine Bekannte von ihr, der Leitartikel zur ersten Ausgabe eines Frauenmagazins und der Abend). Irgendwann bricht sie zusammen und fällt im Pferdestall in einen Erschöpfungsschlaf. Doch dieser erlebnisreiche Tag ist noch nicht zu Ende, das schlimme Ende folgt noch...

Dieses Mal schreibt die Autorin zum Leben ihrer Mutter Renina. Sie hat es mit Themen, die sehr eigen sind, aber die sich unglaublich spannend lesen! Was für eine Schreibe! Renina, die morgens auf den See schaut (sehr poetisch beschrieben) und darüber nachdenkt, was sie erlebt hat und was sie fühlt.
Dieser Erste Mai hat es in sich. So viele Ereignisse auf einmal (ich wäre schon bei einem Drittel völlig fertig). Das mag an ‚Bloomsday‘, an den Roman von James Joyce ‚Ulysees‘ erinnern, dessen voluminöser Roman sich auch an einem Tag vor den Augen der Leserschaft entrollt. Zum Glück hat der Roman von Jana Revedin nur 250 Seiten.
Renina ist jedoch, für diese Zeit, acht Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und der schlimmen Nazi Zeit, eine selbstbewusste und selbstbestimmte Frau, die sich von dem narzisstischen Ehemann lossagen kann. Erschreckend ist, dass das Thema Missbrauch, Betäubung, häusliche Gewalt und Frauenfeindlichkeit damals aktuell war und bis heute leider immer noch.
Die Erzählweise ist nicht einfach, zu viele Querverweise, machen den Verlauf etwas holprig. Die Autorin liebt das ‚name dropping‘ (ist mir bereits bei ihrem Roman zu ‚Flucht nach Patagonien‘ aufgefallen, mir manchmal zu viel).
Das Umschlagsbild erinnert an die 60er, die Zeichnung orientiert sich wohl tatsächlich an Revedins Mutter, wie ein Bild von ihr (mit natürlich Berühmtheiten ihrer Zeit) des Aufbau Verlages zeigt. Klappentext sprechen von "Martin Heidegger" und seiner jüngsten Assistentin (name dropping!), denn Heidegger kommt im Text nicht besonders vor.

Der Ort Konstanz spielt natürlich auch eine Rolle, doch eher eine schöne Nebenrolle, der See, die Landschaft, der Zufluchtsort vor den Nazis, der Wiederaufbau (Konstanz die Unzerstörte).
Alles in allem, ein lesenswertes Buch, mit den oben erwähnten Abschlägen, zu einer außergewöhnlichen Frau.