Tatort Konstanz

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Das Cover ist gut getroffen: Es verrät dass sich ein Paar entfremdet hat. Outfit und Haarmode der Frau verweisen auf die 1950er Jahre. Die Frau schaut zielgerichtet in die Ferne, in ihre Zukunft.
Denn die Protagonistin des Romans wird bald das erste deutsche Frauenmagazin herausbringen.
Weniger erfolgreich sieht das Privatleben der 24jährigen Renina Dietrich aus. Nach wiederholtem sexuellen Missbrauch und einer Gewalttat will sie sich von ihrem Ehemann Fred scheiden lassen. Der renommierte Atomphysiker ist ein Macho und Blender, der glaubt eine Frau gehöre in die private Sphäre.
Anno 1953 ist eine Scheidung weitaus schwieriger als heute, das Vorhaben ist skandalös, die Eheleute sind dadurch stigmatisiert. Wie gut, dass Renina aus privilegierten Verhältnissen stammt und auf die Unterstützung ihrer liberalen Eltern zählen kann. Dazu kommt ein Kreis von alten und neuen Freunden, die sich auf wundersame Weise am 1. Mai 1953, dem Schicksalstag der Protagonistin, am Bodensee treffen.
Diese vielen Zufälle haben mir nicht gefallen. Gut gezeichnet sind hingegen die Figuren, auch im Umfeld der Hauptfigur. Da ist beispielsweise Reninas Mutter. Die ehemals erfolgreiche Fabrikantin hat ihr Unternehmertum in der Nachkriegsära zugunsten ihrer Familie gegen die Hausfrauenrolle eingetauscht. Anders als die mondäne und grossherzige Erica Taut, die offen dafür eintritt, dass Frauen ihre Pläne verwirklichen sollen ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Der Roman nimmt sich dieses großen Themas an, verschenkt aber in der Umsetzung viel Potential. Statt langatmiger Ausführungen zum Dressurreiten hätte viele Leser sicherlich aus Reninas Vorleben die Tätigkeit als Heideggers jüngste Assistentin mehr interessiert. Doch ausser dem Hinweis im Klappentext bleibt es hier leider bei vagen Andeutungen zum Machtmissbrauch auch im universitären Bereich.
Der Schreibstil ist überwiegend flüssig, manchmal kommt er etwas spröde daher, was für mich andererseits das aktuelle Dilemma der Hauptfigur offenbart.
3 Sterne vergebe ich und eine Leseempfehlung für alle, die sich mit Rollenbildern und Geschlechterverhältnis beschäftigen und auseinandersetzen.