Der Garten der "Introvertierten"

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frabo96 Avatar

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Toja lebt als Buchillustratorin ziemlich abgeschieden in einem kleinen Haus am Stadtrand. Der besondere Clou ist aber der üppige und wilde Garten drumherum - den auch die kleine Vica wie magisch anzieht. Toja und das Kind freunden sich schnell an und merken schnell, dass sie beide Probleme haben, in unserer heutigen, lauten Welt klarzukommen. Nach und nach kann Toja Vica und auch ihre Umwelt von einem alternativen Lebensstil überzeugen.

Eins vorab: Ich gebe der Autorin Recht, dass ruhigere Menschen, die besondere Bedürfnisse haben, in unserer Gesellschaft häufig nicht bedacht werden. Auch bringt sie richtig an, dass diejenigen, die den Normen nicht entsprechen oder diese, zum Beispiel in Form von Prüfungen in der Schule, nicht gerecht werden können, oft auf der Strecke bleiben. Was das angeht, lädt das Buch wirklich zum Nachdenken ein, und das rechne ich ihm hoch an.

Da hört das Positive bei mir leider aber auch schon auf. Ich glaube, mein Hauptproblem an der ganzen Geschichte ist, dass die Autorin nicht zu verstehen scheint, was "introvertiert" bedeutet, denn im Buch ist Introversion das, was Toja und Vica so "anders" macht. Introvertierte Menschen sind eher in sich gekehrt und sind durch soziale Interaktionen schnell ausgelaugt (im Gegensatz zu Extrovertierten, die eher Energie aus sozialen Interaktionen ziehen). Tatsächlich sind schätzungsweise bis zu 50 Prozent unserer Gesellschaft eher introvertiert als extrovertiert. Toja und Vica würde ich eher als hypersensibel oder möglicherweise auf dem autistischen Spektrum bezeichnen. Das ändert natürlich nichts daran, dass, wie bereits erwähnt, die Probleme solcher Menschen auch mehr Anerkennung finden sollten, die Fehlverwendung dieses Begriffs hat mich aber komplett aus der Handlung herausgeholt und zeugt irgendwie davon, dass sich die Autorin gar nicht so richtig mit dem Problem auseinandergesetzt hat. Wenn sie nicht mit dem Begriff so um sich geschmissen hätte, sondern die beiden einfach nur als "anders" oder "nicht der Norm entsprechend" beschrieben hätte, hätte mich das kaum weiter gestört. Ganz davon abgesehen finde ich es komplett unrealistisch, dass im Jahr 2025 ein Teenager und mehrere Erwachsene in ihrem Umfeld noch nie den Begriff "introvertiert" gehört haben und total geflasht sind, wenn ihnen erklärt wird, dass es tatsächlich Leute gibt, die Menschenansammlungen anstrengend finden.

Was mich auch unheimlich gestört hat war, dass immer wieder gegen Schubladendenken gewettert wird, kurz danach aber genau dieses Verhalten von der Autorin selbst vollzogen wird. Es wird beispielsweise kaum Verständnis dafür gezeigt, dass Vicas Vater doch tatsächlich Spaß daran hat, andere Menschen zu sich einzuladen. Und dieses wiederholte Runtermachen von weiblichen Teenagern, die sich für Schminke, Klamotten und Partys interessieren, sollten wir doch eigentlich auch in den 90ern gelassen haben. Irgendwann beschlich mich das Gefühl, dass für die Autorin das ruhige, künstlerische Leben das einzig Richtige ist - und so eine Lebensweise ist ja völlig okay, aber wenn man über andere schlecht redet, die vielleicht eher der Norm entsprechen, beteiligt man sich halt eben auch am Schubladendenken.

Es gab für mich auch viele Ungereimtheiten und unlogische Stellen. Warum hinterfragt zum Beispiel kein Erwachsener, warum diese 14-Jährige so viel Zeit allein in einem Haus mit Leuten verbringt, die ihr so gut wie fremd sind? Wenn es nicht im Klappentext erwähnt worden wäre, hätte ich auch keine Idee gehabt, wie alt Vica ist, weil sie sich manchmal wie eine Achtjährige verhält, während ein paar Seiten später schon ernsthaft über Ausbildung geredet wird.

Wie man merkt, war ich überhaupt nicht begeistert von diesem Buch. Da es sonst ja fast nur gute Rezensionen gibt, scheine ich wohl nicht die Zielgruppe hierfür zu sein. Schade, mit mehr Menschenkenntnis und Realismus hätte die Handlung durchaus was gekonnt.