Ruhig, naturverbunden, introvertiert

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Die Mittdreißigerin Toja illustriert Notizbücher, wohnt in einem Pflanzenparadies und hat ihren Platz im Leben gefunden. Aber nicht zuletzt durch Wille, einer eigenwilligen Frau, der sie als Jugendliche begegnet ist. Als die 14-jährige Nachbarin Vica an Tojas Gartenzaun steht, wird sie an diese Zeit erinnert. Trotz des Unbehagens von Vicas Vater, der Toja und deren Mitbewohner Bär als schräge Künstler mit einem verwilderten Garten sieht, besucht Vica den Nachbarsgarten immer öfter und es entspinnt sich eine zarte Freundschaft.

Diese Geschichte ist ruhig und leise, hat dafür aber eine umso größere Botschaft: Denn jede*r ist genauso richtig, wie man ist, insbesondere auch Introvertierte und Hochsensible, die aufgrund ihres ruhigen Verhaltens meist hinter Extrovertierten untergehen. Vica fühlt sich deshalb oftmals nicht wohl, was ihr Vater nicht versteht. Doch Toja ist genauso gestrickt, wodurch Vica in der älteren Namensvetterin eine Vertraute und in deren Garten einen Rückzugsort findet. Genauso wie Toja vor vielen Jahre mit Wille, deren Aufeinandertreffen durch Rückblicke in die Vergangenheit immer wieder erzählt werden. Ich kann mich an kein Buch erinnern, in dem ein introvertierter Mensch die Hauptperson ist und auch noch auf dessen Wesen so intensiv eingegangen wird. Ich finde es toll, dass hier durch Vica viele Beispiele aufgezeigt werden, um Introvertierte sichtbar zu machen und Verständnis für ihr Verhalten zu schaffen. Dies hat die Autorin sehr anschaulich dargestellt, nicht zuletzt durch ihren ruhigen, bildhaften und einfühlsamen Schreibstil. Man kann die Situationen gut nachvollziehen und erhält ein umfassendes Bild von den zurückhaltenden Charakteren.

Patricia Koelle-Wolkens Schreibstil ist gleichzeitig auch wunderschön. Ich mag die Wortwahl, besonders für die vielen schönen Naturbeschreibungen und die Vergleiche, die sich auch oft an Pflanzen oder Tieren orientieren. Tojas Garten ist ein besonderer Ort mit so vielen Pflanzen, Blumen und Minibiotopen. Ich liebe den naturnahen und blütenreichen Garten von Toja, vor allem mit dem Apfelbaum, an dem sich eine Rose hochrankt, und ebenso die wunderschönen Beschreibungen der Autorin dazu. In dem Buch hat sie auch Figuren von sehr bunten Tieren eingefügt, bei deren Schilderung man meinen mag, dass es sie nicht geben kann, weil sie zu schön aussehen um wahr zu sein, aber ich hab jedes gegoogelt und finde sie ebenfalls wunderwunderschön. Sucht mal Bilder von dem Mandarinfisch und dem Vogel Gabelracke!

>>Alles, was das Leben schöner macht und die Menschen lehrt, zu genießen, ist etwas Wunderbares.<< S. 184

Allerdings finde ich einige Aspekte im Buch zu sehr schwarz/weiß dargestellt: Vicas Vater lässt sich sehr schnell überzeugen seinen englischen Rasen auch mit bunten Blumen zu gestalten und schiebt das frühere Geschimpfe über die herübergeflogenen Samen auf den Gärtner ab. Ne, der macht nur was man ihm aufgetragen hat! Außerdem finde ich es schade, dass Toja applaudiert als Vica eine schwierige Situation verweigert und abhaut. Ja, wir Introvertierten erleben so oft Nachteile, was nicht fair ist, aber vielleicht sollte man sich für eine zielführendere Lösung einsetzen statt die ängstliche Jugendliche zu widerspenstigen Verhalten zu ermutigen und sie so erst ins nicht erwünschte Rampenlicht zu rücken. Es ist Fakt, dass durch viel Kontakt zu anderen Menschen die soziale Batterie für Introvertierte sinkt und wir erst einmal wieder Zeit für uns alleine brauchen, wogegen die Extrovertierten Kraft daraus ziehen. Aber nicht jede introvertierte Person hat enorme Probleme damit z. B. ein Referat zu halten, ein großes Fest/Wochenmarkt zu besuchen oder mit Gerüchen klarzukommen. Die drei Introvertierten in dem Buch haben immer gleich empfunden, sodass ich mich zu wenig gesehen gefühlt habe, zu wenig introvertiert. Ich habe den Eindruck, dass hier auch Hypersensibilität angesprochen wurde, ohne es aber beim Namen zu nennen. Es wäre schön gewesen, neben dem Extrem hier mehr Abstufungen zu haben.


Fazit:
„Der Garten der kleinen Wunder“ ist eine sehr leise und farbenprächtige Geschichte mit viel Liebe zur Natur und die Fähigkeit die kleinen Dinge zu schätzen. Es schafft Verständnis für Introvertiertheit, vielmehr Hochsensibilität. Nach anfänglichen Problemen in die Geschichte zu kommen, wurde mir auch einiges zu extrem dargestellt. Ansonsten ist die Geschichte ruhig und beinhaltet einen sehr schönen, bildhaften und einfühlsamen Schreibstil.
3,5 Sterne