Auf eigene Gefahr

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aennie Avatar

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Wo ist der gefährlichste Ort der Welt? Der Roman von Lindsey Lee Johnson gibt eine klare Antwort: überall. Aber es hat niemand ein Warnschild aufgestellt. Überall da, wo Menschen schlimme Dinge tun und für einen anderen Menschen diesen Ort unerträglich machen. Wo Menschen und Dinge einen auf die falsche Bahn führen, Familien zerstören und plötzlich ist nicht mehr so, wie es bis gestern war. Und dass dies kein singuläres Ereignis ist, sondern in einer – betrachtet man es mal wissenschaftlich – soziologischen Gruppe mehrfach auftritt, irgendwann für jedes Mitglied die beschauliche Kleinstadt Mill Valley zum gefährlichsten Ort der Welt werden kann, wird an einer Gruppe Teenager gezeigt.
Johnson beschreibt eindringlich in Kapiteln aus unterschiedlichen Perspektiven, diese Wendepunkte im Leben der jungen Menschen. Fast nüchtern berichtet sie von deren Alltag, dem Sozialgefüge, ihren Erlebnissen, den entscheidenden Sekunden, Minuten, Stunden und Tagen: Mobbing, Drogen, Gewalt, Suizid, Strafverfolgung, Abrutschen in andere Milieus. Atemlos ist man manchmal als Leser, wenn aus dem Bericht plötzlich aus dem Nichts nur noch ein einziger Satz steht, der zeigt, wozu dies alles für den jeweiligen Protagonisten des Kapitels führte. Und dann geht es mit dem nächsten weiter. Zum eigentlichen Inhalt möchte ich in dieser Rezension wirklich überhaupt nichts sagen, zu viele der Spannungs- und Schockmomente wären verraten. Natürlich stehen die Kapitel nicht zusammenhangslos da, es handelt sich schließlich um Jugendliche eines Middle School bzw. Highschool-Jahrgangs, und selbstverständlich haben sie auch Anteil an dem, was den anderen geschieht. Manchmal aktiv, manchmal passiv, aber immer als Teil dieser Gruppe.
Der Roman ist ein echter Pageturner, und schlägt dabei völlig aus der Art. Kein spannender Thriller, kein Kriminalfall, bei dem man der Auflösung entgegenfiebert sondern die schiere Grausamkeit des Lebens an sich. Man könnte der Meinung sein, dass die geballte Macht des Schicksals übertrieben ist, dass einer einzigen Gruppe, doch nicht diese Menge an Schrecklichem widerfahren kann, oder dass es ein typisch amerikanisches oder doch zumindest modernes Problemfeld ist, dass es „früher nie gegeben hätte“ – das habe ich nämlich zwischendurch auch mal gedacht. Und natürlich muss man das Cyber-Mobbing herausnehmen, dass es so natürlich nicht gab. Aber wenn man sich hinsetzt – zumindest war es bei mir so -, und überlegt, ist die Übereinstimmung groß bis sehr groß. Auch in einem Teenie-Jahrgang vor 25 Jahren kann ich fast alle Gefahren oder schlimmen Ereignisse als Parallelen finden. Also ist es nicht weit hergeholt und übertrieben. Der gefährlichste Ort der Welt ist immer da, wo Menschen ihn für andere erschaffen und entstehen lassen, egal wann, egal wo.

Fazit: der Roman baut eine unheimliche Spannung auf durch seinen nüchternen Stil, in dem die schrecklichsten Schicksalsschläge fast beiläufig geschildert werden. Das hat mich sehr beeindruckt und klingt auch in meinen Augen auch im Leser noch nach dem Ende der Lektüre nach.