Vietnamesische Geschichte aus der Innenperspektive - berührend!

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Das Cover legt einen rötlich goldenen Schimmer über grüne Berge und Täler. Eine friedliche Landschaft über die ein grausames Jahrhundert hinweggezogen ist.
Dieses Buch hat mir gezeigt, wie wenig ich tatsächlich über das Land Vietnam und seine Geschichte bislang wusste. Eigentlich fiel mir lediglich der Vietnamkrieg ein, von dem wir in Deutschland auch eher eine durch die USA geprägte Sichtweise besitzen. Doch die Vietnamesen haben schon unter zahlreichen Erniedrigungen und Gräueltaten gelitten, bevor die USA aktiv in den Krieg eingriff. Nach diesem literarischen Einblick in die Geschichte Vietnams im 20. Jahrhundert fragt man sich, wie die Bevölkerung dieses kleinen Landes so viele Entbehrungen, Verluste und Gewalt aushalten konnte.

Die erschütternde Widmung am Anfang des Buches an die eigene leidgeprüfte Familie der vietnamesischen Autorin zeigt deutlich, dass sie weiß, wovon sie erzählt.
Über mehrere Generationen folgen wir in diesem Roman dem Schicksal der ausgedehnten Familie Tran vor dem Hintergrund der wechselvollen vietnamesischen Geschichte im 20. Jahrhundert.

Dieu Lan, die Großmutter, erzählt ihrer Enkelin Huong über die schrecklichen und grausamen Erlebnisse, die sie ab den 1930er Jahren bis zu den 1950er Jahren durchgestanden hat. Darunter die Japanische Invasion, die große Hungerperiode und die brutal durchgezogene Landreform.

„In deinen Schulbüchern wirst du nichts über die Landreform und die Kämpfe innerhalb der Viet Minh finden. Dieser Teil der Geschichte unseres Landes ist ausgelöscht worden, zusammen mit den Leben zahlloser Menschen. Es ist verboten, über Dinge zu sprechen, die mit Fehlern der Vergangenheit oder Verbrechen der Machthaber zu tun haben, denn sie nehmen sich das Recht, die Geschichte umzuschreiben. Aber du bist jetzt alt genug, um zu wissen, dass die Geschichte sich in das Gedächtnis der Menschen schreibt, und solange diese Erinnerungen weiterleben, besteht Hoffnung, dass wir es besser machen können.“ S.216

Huong, die Enkelin, beginnt mit ihrer Erzählung im Jahr 1972, als sie 12 Jahre alt ist, und führt sie fort bis in das Jahr 2017. Sie berichtet von ihrem gefährlichen Leben zusammen mit ihrer Großmutter während des Vietnam Krieges. Die Stimmen der beiden Frauen wechseln sich ab und weben dabei eine mitreißende Familiengeschichte von Leid, Verlust und Angst, von Liebe, Träumen, Opfern aber auch von einem ungemeinen Willen zu überleben. Gerade die starken Frauenfiguren sind in dieser Familie die Hoffnungsträgerinnen. Auch die junge Huong wird sich zu so einer Frau entwickeln.

Fazit:
Es ist bewegend, die Schilderung der generationsübergreifenden Folgen von wiederholten Traumata und Vertreibung zu lesen. Die Charaktere sind absolut authentisch und sehr berührend nah dargestellt. Mir sagte der lebhafte Erzählstil mit den sich abwechselnden Stimmen des jungen, heranwachsenden Mädchens und ihrer Großmutter sehr zu. So lernte ich mit der jungen Enkelin nach und nach immer mehr über den geschichtlichen Hintergrund und erfuhr ihn hautnah von einer (fiktiven) Zeitzeugin.

Doch auch die Landschaft, die Traditionen, Lebensweise, Familienverhältnisse, Sprache und Kultur Vietnams sind feste Bestandteile der Erzählung. Das verleiht dem Roman noch mehr Tiefe und Authentizität. Das Kennenlernen der kulturellen Identität neben den politischen und schier unvorstellbaren kriegerischen Katastrophen lässt eine tiefe Verbundenheit entstehen.

Der Autorin ist es gelungen, meine westliche Außenperspektive zu verändern, durch das Miterleben der schier herzzerreißenden Schicksale.
Ein spannender, bewegender Roman, den man unbedingt gelesen haben sollte.