WO ist der rote Faden?

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Die 55-jährige Anna hat mit der älteren Fenja einen Podcast über deren Bücherleidenschaft und -engagement gedreht, der ziemlich gut ankam. Deshalb hat Anna mit einem Verlag geplant, die Lebensgeschichte der alten Frau aufzuschreiben. Doch in Listland angekommen, ist diese verschwunden und stattdessen deren grießgrämige Tochter vor Ort, mit der Anna während eines Unwetters die alten Bücherschätze vom Dachboden zu retten versucht. Dort finden sie ein ausgehöhltes Buch, das dort schon lange versteckt war. Wie geht es nun weiter?

Direkt zu Beginn hat mich der Prolog irritiert, weil ich ihn zeitlich nicht einordnen konnte. Für mich unnötig, weil er mich nur verwirrt und nicht neugierig gemacht hat. Kein gutes Omen, denn der Rest der Geschichte konnte mich auch kaum noch überzeugen. Zunächst hat mich Fenjas Verschwinden ohne eine weitere Erklärung gestört, denn sie hatte mit Anna einen festen Termin, und der spätere Grund steht mit ihrem unhöflichen Verhalten überhaupt nicht in Relation. Dann suchen Anna und Fenjas Tochter nach ihr, sehen sie aber nur aus der Ferne und kehren gescheitert heim. Hier hängt alles in der Schwebe und die Geschichte geht überhaupt nicht voran. Ich habe mich oft gefragt, um was es in der Erzählung eigentlich geht (Fenjas Vergangenheit und Vorfahren) und wo der Sinn all dessen liegt. Die Geschichte hat zwar mit den Geheimnissen rund um Fenjas und Lenes Familie einen roten Faden, aber der ist so verknotet, verwurschtelt und oft versteckt, dass das Lesen des Buches mir keinen Spaß mehr gemacht hat. Auch Anna als Protagonistin konnte mich nicht erreichen. Zuerst ist sie an den ersten Tagen verzweifelt, dass ihr berufliches Projekt zu scheitern droht, später ist ihr das fast gleichgültig. Außerdem hat mich ihre Liebesgeschichte auch nicht erreicht, da sie sehr hölzern beschrieben und vieles grundlos verkompliziert wurde. In Listlands Gegenwart fehlt es an Spannung, weil auch nicht mehr die Bücher und überraschenden Funde auf dem Dachboden näher betrachtet werden. Die Kapitel aus der Vergangenheit um Lene haben mir hingegen viel besser gefallen. Hier wird im Jahre 1937 über deren Leben auf dem abgeschiedenen Listland erzählt, wie sie aufwächst, ein Buch nach dem anderen verschlingt und sich verliebt.

Erst im letzten Drittel wird die Geschichte interessant und nimmt an Fahrt auf. Hier werden endlich Geheimnisse gelüftet und die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft. Obwohl hier vieles sehr konstruiert war, konnte die Autorin mich sogar mit einem Detail überraschen.

Die alte Dame Fenja wird als Bücherfrau beschrieben, aber die Leidenschaft ist für mich nicht erkennbar. Sie lässt Bücher, sogar antiquarische Familienerbstücke, auf dem Dachboden verschimmeln, und das ohne nachvollziehbaren Grund. Ab und zu wird beschrieben, dass sie sich z. B. in der Bücherei engagiert, aber richtige Bücherliebe ist von ihrer Seite nicht zu erkennen. Hier hätte ich es schöner gefunden, wenn der Podcast von Anna und Fenja auch teilweise abgedruckt gewesen wäre. Lenes Leidenschaft für Geschichten im Früher hingegen ist sehr schön geschildert und stets präsent. Die Beschreibung von Listland, der Natur und dem entschleunigten Leben, haben mir sehr gut gefallen.



Fazit:
„Der Gesang der Seeschwalben“ ist ein Buch mit sehr vielen Schwächen, die ich nicht erwartet hatte. Die Bücherliebe und das Leben auf Listland haben mir sehr gut gefallen, jedoch fehlt der Geschichte Spannung und natürliche Leichtigkeit. Vor allem der versteckte und verknotete rote Faden haben dazu beigetragen, dass vieles nicht voranging. Sehr schade! Band 2 würde mich noch interessieren, aber ich habe Angst, dass er genauso schlecht geschrieben ist.