Ueber die Stille unbekannter Sehnsucht

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Zwei Mütter reichen die junge Vietnamesin Mãn weiter, bis sie bei ihrer dritten Mutter landet, nicht ihrer leiblichen, aber ihrer richtigen. Immer mal verschwindet diese für längere Zeit, arbeitet als Spionin für die Kommunisten in sich im Umbruch befindenden Vietnam. Nur ein Grund mehr, ihrer Tochter ein anderes Leben zu bieten, vor allem jedoch Sicherheit. Im Rahmen einer arrangierten Ehe wird die junge Mãn mit einem nach Kanada emigrierten Vietnamesen verheiratet. Sie lebt gut dort, bekommt Kinder und arbeitet in der Küche des Restaurants ihres Mannes. Ihre Kochkunst lockt immer mehr Gäste an und dank der Förderung ihrer Freundin Julie erlangt Mãns Küche zu immer mehr Berühmtheit. Es ist ein gut strukturiertes Leben, das sie führt, jeder hat seinen festen Platz darin. Bis Mãn Luc kennenlernt und damit ein Gefühl, von dem sie nie gedachtet hätte, es könnte ein Teil von ihr sein: Liebe.

Kim Thúys Sprachstil wirkt einfach, mit klaren, meist kurzen Sätzen, präzisen Beobachtungen. Zwischen dieser Schlichtheit verbirgt sich jedoch ein hoher Symbolgehalt. Sie braucht nicht viele Worte, um Mãns Geschichte zu erzählen, in Bruchstücken ihr Leben anzureißen, das auf eine Weise ebenso schlicht und strukturiert ist wie die Sprache, in der es geschildert wird.

Dabei umfasst dieser handliche Roman jedoch viel mehr als ein Auszug aus Mãns Leben und in wenigen Abschnitten das ihrer Mutter. Fast zärtlich geht es sehr viel um das Essen, um die Zubereitung von Mahlzeiten, die in ihrer Vorbereitung schon mal mehrere Stunden in Anspruch nehmen können, ganz anders als wir es in unserer schnelllebigen Welt gewohnt sind. Sie beschreibt Zutaten und Gerüche, die Komposition von Lebensmitteln und das, was sie symbolisieren oder bewirken. Wie nebenbei wird dabei auch die Geschichte Vietnams angerissen, vor allem die des Krieges und die nachfolgenden Veränderungen.

Wahrnehmung wird sehr viel durch Sprache bestimmt, und so werden in die Erzählung eingewoben auch immer wieder einzelne Begriffe analysiert, sowohl vietnamesische als seltener auch französische. Gerade jedoch das Vietnamesische mit seiner Bildhaftigkeit spielt eine große Rolle. Am Rand eines jedes Abschnitts, die selten mehr als eine Seite umfassen, wird jeweils ein für diesen Teil wichtiger Begriff auf Vietnamesisch und in der deutschen Übersetzung aufgeführt. So karg der Roman an manchen Stellen auch wirkt, ist es eben vor allem die Sprache, die Geschichten festhält.

So klar und einfach Mãns Leben auch wirkt, wird es sehr liebevoll dargestellt. Trotz der sprachlichen Sparsamkeit bekommt man ein Gefühl dafür, wie Mãn mit ihrem Mann, ihren Kindern, ihrer Mutter und der Familie ihrer besten Freundin Julie in stiller Zufriedenheit zusammenlebt, wie ihre Tage in der Küche verlaufen, wie all ihr Leben eigentlich vor allem durch die Bedürfnisse anderer bestimmt ist. Sie selbst löst sich darin auf, ohne das selbst wirklich zu bemerken oder umfassend zu reflektieren. Es gibt nichts, was ihr fehlt, weil ihr persönliches Glück eigentlich nie von Bedeutung war.

Damit ist das Buch auch weit entfernt von einem Liebesroman, denn die Liebesgeschichte kommt erst im letzten Drittel des Romans. Sie bewirkt eine Veränderung in der zurückhaltenden Mãn, eine Selbstbewusstwerdung, das Bedürfnis nach etwas, das in der Lage ist, ihr so sorgfältig erschaffenes Leben zu vernichten. Liebe kann man das nennen. Leidenschaft. Sehnsucht. Eine Vollkommenheit, die alles jenseits davon nahezu unerträglich werden lässt.

Scheinbar schlicht, gleichzeitig aber mit symbolischer Kraft erzählt Kim Thúy in Der Geschmack der Sehnsucht von dem Schicksal einer in Kanada gestrandeten Vietnamesin, die eine gute, aber leidenschaftslose Ehe und ein ebensolches Leben führt, deren gesamte Kraft sich auf das Kochen konzentriert. Sie erzählt davon, wie leicht auch die sorgsamste Ordnung durcheinandergeraten kann, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht. All das verwebt sie wunderbar anschaulich mit Einblicken in die vietnamesische Geschichte und vor allem kulinarische Kultur. Ein kurzer, ein wenig melancholischer, sehnsüchtiger Roman, der irgendwie ein kleines bisschen traurig macht. Und glücklich.