Enttäuschend

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Der Plot dieses Romans an und für ist sich ansprechend. Es ist die Geschichte des neunjährigen Victor, der in den Ferien an der südfranzösischen Küste den Sommer seines Lebens erlebt und seine Erlebnisse in der Retrospektive erzählt - erste Liebe, Abenteuer und ein dunkles Familiengeheimnis inklusive. Die Entscheidung des Autoren Gilles Paris, einen Neunjährigen als Ich-Erzähler einzusetzen, wird ihm jedoch über weite Strecken der Erzählung regelrecht zum Verhängnis. Er versucht, sich in den jungen Protagonisten einzufühlen und die Ereignisse aus einer kindlichen Perspektive darzustellen, was sich verständlicherweise auch auf die Sprache auswirken muss. Tiefschürfende Charakterstudien auf dem Niveau eines Sigmund Freud sind bei einem Volksschüler nunmal nicht sehr glaubhaft. Genaus solche legt Paris seinem Protagonisten jedoch unterunterbrochen in den Mund und er tut das dermaßen plump, dass ich mir mehrmals das ungläubige Lachen nicht verkneifen konnte. Etwa wenn Victor im Gespräch mit einer ältlichen Baronin über sich selbst sagt: "Vielleicht bin ich ja wirklich ein erstaunlicher kleiner Mann aber [mir ist ein bisschen so] als würde ich nach einem Schlüssel suchen, der mehrere Türen gleichzeitig aufschließt". Oder wenn er im Gespräch mit seiner 14-jährigen Schwester über deren nächtliches, amoröses Abenteuer augenblicklich erkennt: "Meine Schwester weiß zwar, dass ich noch nicht alles verstehe, aber durch mich kann sie die Nacht noch einmal erleben."
Dann kann ich mir nicht helfen, es beginnen vor meinem inneren Auge die feinen Züge des Kindes zu rucken und zu zucken und für einen Moment bricht das - mit vor stolz über den geschickten Schachzug im Dienste des geschichtlichen Tiefganges zu einem Grinsen verzogene - Gesicht eines erwachsenen Mannes durch, nur um sich gleich wieder pfeifend hinter der unschuldsvollen Betrachtung eines Schmetterling zu verkriechen.
Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Widerspruch zwischen den Aussagen von Victors Selbsteinschätzungen und der Tatsache, dass er zu solcher Selbstreferenzialität überhaupt fähig ist, wie etwa durch seine zu Beginn erfolgte Selbsterkenntnis, derzufolge "Die Welt für [mich] wie ein riesengroßes Fragezeichen ist". Ah ja!