Atmosphärisch, wundervoll geschrieben und mit vielschichtigen Charakteren

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faanielibri Avatar

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Wenn ein Blurb das Buch treffend beschreibt, dann ist es der auf dem Cover von ‚Der Gott des Waldes‘ von Liz Moore, übersetzt von Cornelius Hartz. Denn die Geschichte ist ein literarischer Thriller der Spitzenklasse. Atmosphärisch dicht und wundervoll geschrieben, voller Geheimnisse und vielschichtiger Figuren. Da es für mich eine DER belletristischen Neuerscheinungen des Frühjahrs ist, bin ich umso glücklicher, hier ein wahres Kleinod gefunden zu haben.

Aus einem Sommercamp auf dem weitläufigen Grundstück der Bankiersfamilie Van Laar verschwindet deren dreizehnjährige Tochter Barbara. Sofort werden Parallelen zum Verschwinden ihres Bruders gezogen, das 14 Jahre her ist. Doch der damalige Täter ist tot..
Moore erzählt eine Familiengeschichte, zeigt aber auch gesellschaftsrelevante Themen auf, wie z.B. reiche, gut vernetzte Menschen und wie sie ihre Macht missbrauchen, die soziale Ungleichheit, familiäre Spannungen durch Suchtkrankheiten oder Vernachlässigung. Viele Themen, die aber geschickt und stimmig in die Kriminalgeschichte eingewebt wurden. Am meisten getroffen hat mich die Behandlung der Frauen, die oftmals belächelt werden, benachteiligt und weggesperrt.
Die Erzählung wechselt zwischen den Ereignissen 1975 und denen vor 14 Jahren, die Multi-POVs schaffen ein übersichtliches Bild und lassen mich so richtig in die Story eintauchen. Unter den jeweiligen Kapitelüberschriften (des jeweiligen POVs) ist ein Zeitstrahl angebracht, der das aktuelle Datum dick hervorhebt. Fand ich super gelöst und hat bei der Orientierung enorm geholfen.
Neben der Atmosphäre, die durch die genannten Themen und dem Setting im Wald eine gewisse Grundstimmung liefert, punktet Moore mit den vielschichtigen Charakteren. Barbara ist dabei Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, tritt aber wegen ihres Verschwindens nur in einem Teil des Buchs auf. Nichtsdestotrotz kann ich die Anziehungskraft, die sie auf ihre Mitcamper*innen ausübt, spüren. Ihre Unangepasstheit, ihre kleinen Akte der Rebellion ebenso wie ihre Sehnsucht nach einer neuen Familie. Auch die anderen Figuren, die relevante Rollen spielen, haben genug Tiefe erhalten, um mit ihnen mitzugehen, ihre Konflikte nachvollziehen zu können. Vor allem Judy, eine State Trooper, hat eine tolle Entwicklung durchgemacht. Andere Rezensionen bringen mit ihr das Wort ‚Girlboss‘ in Verbindung, das kann ich unterschreiben. Wie sie sich in der von Männer dominierten Kriminalpolizei durchsetzt, hat mir sehr imponiert. Auch die Loslösung von ihrem behüteten Elternhaus hat mir gut gefallen und zeigt auf, dass es Familie auch zu gut meinen und dabei einengen kann.
Einzig die Auflösung fand ich ein bisschen unspektakulär, wenn auch durchaus nachvollziehbar und stimmig. Das trübt meine Lesestimmung aber kein bisschen, die Mischung aus Atmosphäre und Figuren hat mich einfach von vorne bis hinten überzeugt. Große Leseempfehlung!