Gothic Mystery mit Anspruch
„Der Gott des Waldes“ erzählt die dramatischen Ereignisse in einem Adirondack-Sommercamp der 1970er Jahre. Die dreizehnjährige Barbara Van Laar ist verschwunden. Louise, der zuständigen Betreuerin, ist sofort klar, dass sie ein Problem hat, denn Barbara ist die Tochter der Campbesitzer. Dazu kommt, dass Barbaras älterer Bruder Bear bereits vor vierzehn Jahren aus demselben Camp verschwunden ist und nie gefunden wurde.
Mit der Suche nach Barbara wird die Geschichte des Camps und die von Barbaras Familie aufgerollt. Die erzählerische Gegenwart spielt im Jahr 1975; Rückblenden führen bis in die 50er Jahre. Eine innovative Timeline zu Anfang jeden Kapitels hilft, die Orientierung zu behalten. Ein Beispiel:
Alice
1950er | 1961 | Winter 1975 | Juni 1975 | Juli 1975 | August 1975
Der Roman funktioniert sowohl als Krimi als auch als Gesellschaftsroman. Seine Themen sind die Kluft zwischen Arm und Reich und die Selbstbestimmtheit von Frauen, durchdekliniert in einer Reihe von weiblichen Charakteren. Alle sind auf unterschiedlichste Weise durch die patriarchalen Machtverhältnisse ihrer Umgebung geprägt - und durch die Zugehörigkeit zu ihrer Klasse. Der Figur Judy, als eine der wenigen weiblichen Junior Investigators frisch von der Ausbildung dem Fall zugeteilt, beschert das einen ständigen Eiertanz. Nicht nur sind der Aufsteigerin aus der Working Class die sozialen Codes der Reichen unbekannt, sie wird auch von ihren männlichen Kollegen nicht ernst genommen. Insgesamt sind es 8 unterschiedliche Perspektiven, durch die wir das Geschehen erleben – eine davon ein flüchtiger Serienkiller, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist und im Verdacht stand, Bear ermordet zu haben.
Moores große Stärke ist die Figurenzeichnung, und zwar nicht nur die der Frauen. Judys Vorgesetzter Denny Hayes zum Beispiel ist offenbar lernfähig, was die Rolle von Frauen in der Gesellschaft angeht. Mit Alice, Mutter der verschwundenen Kinder und das tragische Beispiel einer vollkommen fremdbestimmten Frau, möchte man trotz aller Privilegien nicht tauschen. Ihr Gegenpol ist T.J., die androgyne Leiterin des Feriencamps, die den Wald kennt wie keine andere. In Alices Ehe wie auch in Louises Beziehung mit einem Upper Class-Mann wird die soziale Gewalt gezeigt, die unweigerlich mit materieller Macht einhergeht. An der Sympathieverteilung der Autorin besteht kein Zweifel: Die Reichen kommen gar nicht gut weg im Roman.
Eine besondere Rolle spielen die Adirondack Mountains. Die dichtwaldige Landschaft, die Moore beschreibt, ist schön, mystisch und bedrohlich zugleich und verleiht dem Roman einen Touch von Gothic Mystery. Mir gefiel die Schilderung des Lebens im Sommercamp mit seinen Ritualen - eine sehr amerikanische Institution, die viele Menschen in den USA in einer entscheidenden Lebensphase geprägt hat.
Wie sich herausstellt, ist in Camp Emerson nichts so, wie es am Anfang scheint. Auch die Serienkiller-Trope unterläuft alle Erwartungen. Der Titel des Romans hat mir lange Rätsel aufgegeben – ich fragte ich mich, wer (oder was) – dem Gott womöglich geopfert worden ist, aber die tatsächliche Erklärung gefiel mir deutlich besser. Die Auflösung der aufgeworfenen Rätsel ist Moore so befriedigend wie überraschend gelungen.
Der Roman ist kein Thriller, es braucht ein wenig, bis die Geschichte Fahrt aufnimmt, aber Moore nimmt einen mit in eine ganz andere Welt mit eigenen Gesetzen, in die man tief eintauchen kann. Es dauert an die 100 Seiten, bis man im Roman angekommen ist, aber von dem Zeitpunkt an mag man das Buch kaum noch aus der Hand legen.
Ein Pageturner mit Anspruch, sprachlich exzellent, spannend und tiefgründig.
Mit der Suche nach Barbara wird die Geschichte des Camps und die von Barbaras Familie aufgerollt. Die erzählerische Gegenwart spielt im Jahr 1975; Rückblenden führen bis in die 50er Jahre. Eine innovative Timeline zu Anfang jeden Kapitels hilft, die Orientierung zu behalten. Ein Beispiel:
Alice
1950er | 1961 | Winter 1975 | Juni 1975 | Juli 1975 | August 1975
Der Roman funktioniert sowohl als Krimi als auch als Gesellschaftsroman. Seine Themen sind die Kluft zwischen Arm und Reich und die Selbstbestimmtheit von Frauen, durchdekliniert in einer Reihe von weiblichen Charakteren. Alle sind auf unterschiedlichste Weise durch die patriarchalen Machtverhältnisse ihrer Umgebung geprägt - und durch die Zugehörigkeit zu ihrer Klasse. Der Figur Judy, als eine der wenigen weiblichen Junior Investigators frisch von der Ausbildung dem Fall zugeteilt, beschert das einen ständigen Eiertanz. Nicht nur sind der Aufsteigerin aus der Working Class die sozialen Codes der Reichen unbekannt, sie wird auch von ihren männlichen Kollegen nicht ernst genommen. Insgesamt sind es 8 unterschiedliche Perspektiven, durch die wir das Geschehen erleben – eine davon ein flüchtiger Serienkiller, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist und im Verdacht stand, Bear ermordet zu haben.
Moores große Stärke ist die Figurenzeichnung, und zwar nicht nur die der Frauen. Judys Vorgesetzter Denny Hayes zum Beispiel ist offenbar lernfähig, was die Rolle von Frauen in der Gesellschaft angeht. Mit Alice, Mutter der verschwundenen Kinder und das tragische Beispiel einer vollkommen fremdbestimmten Frau, möchte man trotz aller Privilegien nicht tauschen. Ihr Gegenpol ist T.J., die androgyne Leiterin des Feriencamps, die den Wald kennt wie keine andere. In Alices Ehe wie auch in Louises Beziehung mit einem Upper Class-Mann wird die soziale Gewalt gezeigt, die unweigerlich mit materieller Macht einhergeht. An der Sympathieverteilung der Autorin besteht kein Zweifel: Die Reichen kommen gar nicht gut weg im Roman.
Eine besondere Rolle spielen die Adirondack Mountains. Die dichtwaldige Landschaft, die Moore beschreibt, ist schön, mystisch und bedrohlich zugleich und verleiht dem Roman einen Touch von Gothic Mystery. Mir gefiel die Schilderung des Lebens im Sommercamp mit seinen Ritualen - eine sehr amerikanische Institution, die viele Menschen in den USA in einer entscheidenden Lebensphase geprägt hat.
Wie sich herausstellt, ist in Camp Emerson nichts so, wie es am Anfang scheint. Auch die Serienkiller-Trope unterläuft alle Erwartungen. Der Titel des Romans hat mir lange Rätsel aufgegeben – ich fragte ich mich, wer (oder was) – dem Gott womöglich geopfert worden ist, aber die tatsächliche Erklärung gefiel mir deutlich besser. Die Auflösung der aufgeworfenen Rätsel ist Moore so befriedigend wie überraschend gelungen.
Der Roman ist kein Thriller, es braucht ein wenig, bis die Geschichte Fahrt aufnimmt, aber Moore nimmt einen mit in eine ganz andere Welt mit eigenen Gesetzen, in die man tief eintauchen kann. Es dauert an die 100 Seiten, bis man im Roman angekommen ist, aber von dem Zeitpunkt an mag man das Buch kaum noch aus der Hand legen.
Ein Pageturner mit Anspruch, sprachlich exzellent, spannend und tiefgründig.