Meisterhafte Spannung ohne Überdramatisierungen und Genreklischees

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Dieses Gefühl, von einem Buch eingenommen zu werden, nicht erwarten zu können, zu ihm zurückzukehren, weil man sich als Teil der erschaffenen Welt fühlt und unbedingt Klarheit haben möchte, was wie und warum vor sich geht, habe ich nicht allzu häufig.
Vielleicht weil ich kein klassischer Spannungsliteratur-Leser bin und nicht gezielt nach handlungsgetriebenen Verwicklungen in Geschichten suche. Was auch immer der Grund sein mag; in diesem Fall ging es für mich komplett auf.

Es ging so sehr auf, dass ich das Buch, das nicht gerade mit Schmalheit punktet, in 2-3 Sitzungen genossen habe. Kurz war ich versucht zu schreiben, ich hätte es verschlungen oder weggeatmet, aber das trifft es nicht, denn dafür war es doch zu reichhaltig und kreist eine Woche danach noch zu sehr in meinen Gedanken. Und das ist meiner Meinung nach der höchste Adel, den man einem spannungsgetriebenen Werk ausstellen kann!

Etwaige Klischees, die in Krimis und Thrillern (denn der Verlag bezeichnet das Buch als literarischen Thriller) nur allzu gern verbraten werden, sind hier kaum zu finden. Das gilt sowohl für die Figuren, als auch die Entscheidungen, die sie treffen und die sich daraus ergebenen Konsequenzen.
Es wird sehr viel innerhalb verschiedener Zeitpunkte gesprungen und was anfänglich ziemlich anspruchsvoll wirken mag, entpuppt sich irgendwann als fesselnde Dynamik, die nicht zur Folge hat, dass die Leser mit billigen Cliffhangern stehengelassen werden, sondern dass die Figuren sehr viel Raum bekommen, um sich zu entwickeln und nahbar zu sein (so nah wie es die Autorin zumindest beabsichtigt).

Wenn ich der Geschichte einen Stempel aufdrücken müsste, dann wäre es: glaubwürdig. Keine übertriebenen Gewaltszenen der Gewalt und des Schockierens willen, sondern dramatische und teils tragische Entwicklungen, die daher rühren, dass Menschen Menschen sind und das nicht zwangsläufig etwas Gutes sein muss. Aber die Autorin ruht sich nicht auf Schocksequenzen aus, um ihre Geschichte erzwungen interessant zu gestalten und den Leser zu fesseln, sie erzählt in aller ihr zur Verfügung stehenden Breite von Machtgier, Machtmissbrauch und dem Drang nach Freiheit in einem System, das Andersartigkeit schnell abstraft.

Sie fesselt, ohne abgedroschen und plump zu sein, sie rührt an unserer Empathie, ohne rührselig zu werden. Und vor allem: Sie kreiert eine meisterhafte Spannung, ohne sich der Sensationslust zu bedienen. Für mich schon jetzt ein klares Highlight in diesem Jahr!