Verschenktes Potential

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Der Titel „Der Gräber“ gibt erstmal ja nicht viel her, die Genrezuordnung Thriller macht es schon mal konkreter. Noch konkreter wird es, wenn man die Handlung kurz umreißt: Jahr um Jahr schlägt ein Täter zu, um sich Anfang November in einen Keller zu graben und sein Opfer verschwinden zu lassen, nicht, ohne viel Blut zu hinterlassen. „Täter“, weil unklar ist, ob er die Opfer umbringt – hier tappt auch die Polizei in Person der Kommissarin Cecilia Wrede im Dunkeln. Parallel dazu bekommt eine Lektorin das Manuskript der Autobiographie offenbar genau dieses Täters in die Finger, veröffentlicht den Text, löst damit eine Kette unangenehmer Folgen aus und katapultiert sich in den Fokus des Gräbers …
Fredrik P. Winters Idee klingt brillant und der Beginn der Geschichte ist es auch: Man wird ohne viel Federlesens in die Geschichte geworfen und findet sich quasi in blankem Horror wieder, denn ausgerechnet zu Hause und offenbar ohne jeden Zusammenhang von einem Mörder als Opfer ausgeguckt zu werden, ist wohl kaum anders beschreibbar. Nun könnte man als Autor mit diesem Gefühl großartig spielen, das verpasst Winter aber – ja, Kratzen im Keller, wie von Messern an der Wand usw. Denn diese Mystery- oder Spukrichtung müsste schon konsequent verfolgt und gut durchdacht sein. Sollte man sich darüber ärgern, passiert das denkbar Dümmste, was einem Buch passieren kann, das fällt mit einem recht tempolosen Mittelteil zusammen, bevor die Handlung gegen Ende wieder an Tempo zulegt – bis dahin ahnen geübte Krimileser aber bereits, worauf selbiges hinausläuft. Das muss nicht von Nachteil sein, weil man seine Hypothese dann bestätigt wissen will, wozu aber der Rest passen muss und das tut er auf den ersten Blick auch. Denn wechselnde Perspektiven (schon die den Kapiteln vorangestellten Zitate des Gräbers wecken ein ums andere Mal morbide Ideen), verschiedene Zeitebenen, verwobene Handlungsstränge und die Idee eines Serienkillers, der unter der Erde lebt, bringen eigentlich alles mit, was es für einen guten Thriller braucht (abgesehen von etwas blassen bzw. teils nervigen Figuren). Auch der Schreibstil ist gut und flüssig lesbar, wenngleich nicht besonders abwechslungsreich. Allerdings scheint der Autor nicht konsequent eine Erzählidee verfolgt zu haben: Worum geht’s denn nun? Eine Art Psychostudie, wie man zum unter der Erde lebenden Serienkiller wird? Eine Ermittlung dazu? Eine Lektorin, deren Fantasie ihr wegen vergangener Erfahrungen „Streiche spielt“? Oder hängt das alles zusammen und wenn, wie? Die Geschichte hat Potential, das m. E. aber verschenkt wurde: zu lang, zu „genre-untentschlossen“, wenig interessanter Schreibstil und somit 2,5 Sterne, die aufgerundet werden, weil das Buch durchaus seine Anhängerschaft finden könnte (zu der ich nicht gehöre), aber das soll jeder selbst entscheiden.