Mehr Gesellschaftsstudie als Geschichtsstunde

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angie99 Avatar

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Ein Kontinent soll getrennt werden, damit die Schiffe passieren können: wenn das mal kein großer Riss ist! Der Plan, den Panamakanal zu bauen, ist irrwitzig und wird doch Anfang des letzten Jahrhunderts Wirklichkeit. Vor dieser historisch denkwürdigen Kulisse hat Cristina Henríquez ihren Roman aufgebaut.

Das Wort Kulisse ist hier jedoch ernst gemeint. Denn um den eigentlichen Bau des Kanals geht es hier nur indirekt. Der historische Hintergrund ist zwar präsent, steht aber nicht im Mittelpunkt des Interesses.
Die Autorin widmet sich vielmehr den Menschen, die 1907 in Panama ankommen, in Panama leben, in Panama arbeiten. Empathisch und lebendig beschreibt sie ihre Herkunft, ihre Träume, Wünsche und Hoffnungen, ihre Familien, ihren Alltag.
Da gibt es Ada, die von Barbados nach Panama flieht, um Geld zu verdienen. Marian Oswald, studierte Botanikerin und ihren Mann John, der die Malaria ausrotten will. Den Fischer Francisco, der seinen Sohn Omar alleine aufzieht. Valentina, die ins Dorf ihrer Kindheit zurückkehrt, um gegen den geplanten Staudamm zu protestieren. Aber noch einige weitere Angehörige, Bekanntschaften oder Vorgesetzte dieser Figuren kommen zu Wort.

Henriquez schafft es, an diesen fiktiven Figuren beispielhaft zu zeigen, dass sich der große Riss nicht nur durch die Landschaft, sondern durch die gesellschaftlichen Strukturen zieht. Weiße und Farbige, Männer und Frauen, Einheimische und Einwanderer, Arme und Reiche leben sozusagen auf zwei verschiedenen Kontinenten.
Trotz der beeindruckenden Anzahl an Menschen, die man bei der Lektüre kennenlernt, ist es leicht, sie auseinanderzuhalten; überhaupt liest sich dieses Buch sehr flüssig, die Sprache hat keinen großen literarischen Anspruch, ist aber durchwegs bildhaft und eloquent.

Fazit: „Der große Riss“ ist ein toller Schmöker mit eindrücklich viel Personal, das sich dank des angenehmen Schreibstils rasch und mühelos lesen lässt. Leider geht der historische Kontext in der Masse an Familiengeschichte etwas unter, aber in vielen erwähnten Details scheint eine gute Portion Gesellschaftskritik durch.