Ein zugleich amüsanter wie auch nachdenklich stimmender Roman über einen Helden wider Willen

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emma217 Avatar

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In "Der Held vom Bahnhof Friedrichstrasse" von Maxim Leo wird der erfolglose Videothekenbesitzer Michael Hartung über Nacht zu einem Helden: Ein Journalist meint herausgefunden zu haben, dass er eine spektakuläre Massenflucht aus der DDR eingefädelt haben soll. Mit einem S-Bahnzug sind damals am Bahnhof Friedrichstraße 127 Menschen in den Westen gelangt. Und Michael Hartung arbeitete in besagter Nacht als Stellwerksmeister am Bahnhof Friedrichstraße. Nach Zahlung eines verlockenden Honorars erklärt er sich schließlich dazu bereit die Geschichte zu bestätigen, nicht ahnend, welche Lawine er damit ins Rollen bringt.

Die ersten Kapitel, in denen unser Held wider Willen vorgestellt wird und seine Heldengeschichte an Bekanntheit gewinnt, sind sehr amüsant geschrieben. Wir bekommen einen guten Einblick in das eher trostlose Leben des Protagonisten, welches zwar realistisch aber mit einem Augenzwinkern beschrieben wird. Im Zuge der Verselbständigung der Lügengeschichte wird dann die Medienlandschaft geschickt aufs Korn genommen und Vorurteile und Klischees, die immer noch zwischen West- und Ostdeutschland vorherrschen, treffend karikiert.

Im Grunde ist Michael Hartung jedoch ein sehr einsamer Mensch. Er besitzt zwar einen überschaubaren Bekanntenkreis im Umfeld seiner Videothek. Doch vermisst er seine Ex-Frau und seine Tochter sehr, zu denen er fast keinen Kontakt mehr hat. Als ihm der plötzliche Heldenstatus seine Tochter unverhofft wieder näher bringt und er in Paula, die damals in besagtem S-Bahnzug in den Westen gelangte, zudem eine neue Liebe findet, wird es für ihn immer schwieriger das Lügennetz aufrechtzuerhalten. Und er muss sich der Frage stellen, zu welchem Preis er diese neuen Beziehungen führen möchte und ob er das Verschweigen der Wahrheit wirklich mit seinem Gewissen vereinbaren kann. So erhält der Roman nach den komödienhaften ersten Kapiteln in der zweiten Hälfte eine für mich unerwartete Tiefe, die mich selbst auch zum Nachdenken gebracht hat. Eine weitere ernste Ebene erhält die Geschichte durch den Charakter des Wischnewski, ein Mensch, der sich mit Leib und Seele der Aufarbeitung der Geschichte der DDR verschrieben hat und der nach dem plötzlichen Auftauchen des neuen unverbrauchten Helden, den man so schön der Öffentlichkeit präsentieren kann, einfach fallen gelassen wird.

Ich habe mich lange gefragt, wie es dem Autor wohl gelingen wird, diese verschlungene Münchhausen-Geschichte zu einem stimmigen Ende zu bringen und kann nun sagen, dass ich die Auflösung überaus gelungen finde.

Fazit: “Der Held vom Bahnhof Friedrichstrasse” ist ein zugleich amüsanter wie auch nachdenklich stimmender Roman über einen Helden wider Willen, der zudem die komplizierte Beziehung zwischen Ost- und Westdeutschland skizziert.