Erinnerungskultur und ein Held, der keiner ist

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jennifer_rosa_ Avatar

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"Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße" ist ein kurzweiliger Roman über einen ehemaligen DDR Bürger, der ungewollt und aufgrund des Zusammenspiels von bewusstem Verschweigen und fiktiver Tatsachenerweiterung über Nacht vom bankrotten Videothekbesitzer zum gefeierten anti-sozialistischen Freiheitskämpfer wird.

Michael Hartung wächst im Osten auf und lebt und arbeitet dort auch bis zur Wende bei der Reichsbahn. Als Streckenwart trägt er dabei 1983 unfreiwillig dazu bei, dass 127 Menschen mit dem Zug in die BRD reisen. Über 30 Jahre später möchte ein Reporter Genaueres wissen - und erdichtet eine mutige und selbstlose Heldengeschichte, der Hartung dank des aussichtsreichen Interviewhonorars zunächst zustimmt. Seine Geschichte verbreitet sich rasend schnell, alle wollen von seiner mutigen Tat hören. Schließlich sind Helden der DDR immer gerne gesehene Pressegäste, erinnern sie doch an die entbehrungsreiche Zeit im deutschen Osten. Was aber, wenn man eigentlich gar kein Held ist und die DDR für einen selbst nicht so schlecht war, wie in der Öffentlichkeit oft behauptet wird? Schnell ist Hartung gefangen in einem Trubel um seiner selbst, den er doch eigentlich nie wollte.

Der Roman konnte mich vor allem vom Schreibstil her überzeugen. Passende Monologe und Dialoge sowie der ein oder andere Erzählstrang, der zum Schmunzeln anregt, gestalten das Lesen sehr flüssig. Die Geschichte fand ich interessant, wirft sie doch einige Fragen zur Erinnerungskultur auf, die ich sehr wichtig finde.

Insgesamt gesehen war es eine runde Erzählung, die aber gerne noch mehr Tiefgang hätte haben dürfen. Gerade die Liebesgeschichte kam mir etwas zu kurz und blieb so recht oberflächlich.