Heldenhaft gut!

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sophie h. Avatar

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Michael Hartung besitzt eine Videothek in Berlin und lebt am absoluten Existenzminimum. Eines guten Tages betritt ein Journalist seine Videothek. Er möchte ein Interview mit Hartung. Anlass ist eine Recherche zu einer Massenflucht aus der DDR, bei der 127 Menschen in einem S-Bahnzug über den Bahnhof Friedrichstraße in den Westen gelangten. Der Journalist will in den Stasi-Akten gelesen haben, dass Hartung damals die Weiche gestellt hat, sodass der Zug in den Westen rollen konnte. Hartung bestreitet dies vehement, doch der Journalist lässt nicht locker. Tatsache ist nämlich, dass Hartung damals den Auftrag hatte, die Weiche umzulegen, um einen einzigen Zug aus der im Ostteil der Stadt gelegenen Werkstatt wieder in den Westen zurückzuführen. Dabei brach ihm der Bolzen ab, sodass die Weiche falsch gestellt blieb. Seiner Faulheit war es zu verdanken, dass so ein weiterer Zug unbeabsichtigt in den Westen rollen konnte. Als der Journalist überhaupt nicht locker lassen will und für das Interview eine ganze Stange Geld bietet, nutzt Hartung seine Chance und erzählt die Wahrheit ein wenig neu. Die Medien sind begeistert und überrollen ihn förmlich mit Angeboten. Eine herrliche Hochstaplergeschichte setzt sich in Gang. Hartung könnte sein Leben nun genießen, wenn ihm nicht jemand auf die Schliche kommen würde und er sich noch dazu Hals über Kopf verliebt. Wird seine neue Liebe diese Lüge überleben?
Wer den Grenzübergang Friedrichstraße kannte, wird den Ort in dieser Geschichte schnell wiedererkennen. Schnell sind die Erinnerungen wieder da: von dem typischen Ost-Geruch, den wachsamen Blicken der Vopos, verlassene S-Bahnhöfe, die beim Durchfahren gespenstisch anmuten, hinter jeder Säule ein Vopo mit Gewehr im Anschlag. Wie traumhaft die Vorstellung, dass einfach unbemerkt ein Zug in den Westen rollen konnte!
Ich habe dieses Buch mit großem Vergnügen gelesen. Nicht nur, dass es bei mir viele Erinnerungen geweckt hat, es hat auch nachdenklich gemacht: Was ist eigentlich Wahrheit? Und hat jeder oder jede Sichtweise ihre eigene Wahrheit? Das Buch lässt sich herrlich leicht in einem Rutsch durchlesen. Der Schreibstil von Maxim Leo ist flüssig. Die Geschichte fängt langsam an und steigert sich ab der Mitte mit rasanten Tempo, sodass ich Probleme hatte, das Buch wegzulegen. Einziges Manko: Das Cover zeigt die neue Baureihe der S-Bahn-Züge, die damals noch nicht fuhren. Trotzdem von mir die volle Leseempfehlung!