Plötzlich Held

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jidewi Avatar

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Was würdest du sagen, wenn plötzlich deine Geschichte, die eher schlichte, ruhige und unspektakuläre Geschichte deines Lebens, sich zu einer voller Feuerwerk, Trompeten und Posaunen entwickelt, in der du knapp mit dem Leben davongekommen bist? Wenn du mit einem Mal ein genialer Planschmieder bist, gewitzt und kalkuliert, eine "Mission Impossible" durch deine Genialität als gefühlter 007 bewältigt hast, und das nur, weil du eigentlich zur rechten Zeit am rechten Ort aus Versehen das Richtige getan hast? Es ist ein schmaler Grat zwischen Zufall und Intention, zwischen Plan und Glück, Wahrheit und Lüge. Es gibt so viele Facetten einer Geschichte, dass wir meist dazu neigen, nur eine Variante zu betrachten, die gute, die, die uns besser erscheinen lässt als die, mit der wir wirklich wir selbst sind, weil alles andere bedeutet, in der Belanglosigkeit zwischen den lauten Tönen zu versinken.
Michael ist Besitzer einer beschaulichen Videothek in Berlin, eine Rarität, da Streamingdienste ihr bereits den Rang ablaufen und Michael selbst sein bester Kunde ist. Plötzlich stolpert ein Journalist in sein Geschäft und das, was zunächst als Missverständnis beginnt, entpuppt sich mehr und mehr als die Geschichte, die Michael viel lieber erzählt, bis er sich entscheiden muss zwischen seinem neuen Leben als Held oder seinem echten Leben.

Der Stil ist einnehmend, das Tempo angenehm, die Handlung so authentisch erzählt und trotz ihres klaren Hochstapler Charakters charmant, dass sich der Leser selbst dabei erwischt, dass die Unterscheidung zwischen Lüge und Wahrheit irgendwann vielmehr der persönlichen Auslegung gleicht, die man dem Zufall zusprechen kann. Das besondere ist die Nähe zum Protagonisten und ich habe mich immer wieder dabei erwischt zu reflektieren, was ich in seiner Situation tun würde und das Spiel mit den Optionen, Wünschen und Möglichkeiten, der Ruhm, die Macht, die einem zu Kopf steigen, all das wird so nahbar verarbeitet und geschildert, dass es im Endeffekt nicht mehr um richtig und falsch geht, das große Schwarz-weiß Spiel, sondern die Akzeptanz von Grauzonen, das menschliche Versagen aufgrund des Wunsches respektiert und gesehen zu werden. Und dadurch entsteht im Grunde ein Auftrag an uns als Gesellschaft, die wir dazu beitragen, dass Menschen unsichtbar bleiben, durch unseren Filter fallen und somit auf der Strecke. Eine Empfehlung für alle, die eine Schwäche für Hochstapler haben, Romane mit sympathischen Protagonisten schätzen und selbst hinterfragen wollen, wen sie auch durch den Filter der Gesellschaft haben fallen lassen.