Und plötzlich ein Held ...

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Michael Hartung ist Inhaber einer in die Jahre gekommenen Videothek. Seit die Streamingdienste den Markt erobert haben, verirren sich kaum noch Kund:innen in den „Moviestar“, um etwas auszuleihen. Das Geld ist knapp, die Miete fällig und Hartung weiß nicht, wie es weitergehen soll.
Doch plötzlich steht Alexander Landmann, ein Journalist, vor seinem Tresen, um ihn zur größten Massenflucht in der Geschichte der DDR zu befragen. Aus Stasi-Akten weiß er, dass Hartung die entscheidende Weiche am Bahnhof Friedrichstraße stellte, die es einem Zug mit 127 Menschen an Bord ermöglichte nach West-Berlin zu fahren.
Landmann wittert die große Story anlässlich des 30-jährigen Mauerfall-Jubiläums. Der irritierte, eigenbrötlerische Hartung winkt zuerst ab und schiebt alles auf einen Zufall. Einige Biere später und mit der Aussicht schlagartig alle Geldprobleme los zu sein, willigt er schließlich in einen einzigen Artikel über ihn ein. Landmann schmückt die Geschichte einfach noch ein bisschen aus und erschafft so einen bisher der Öffentlichkeit noch völlig unbekannten, sympathischen, neuen ostdeutschen Helden. Der Artikel wird ein sensationeller Erfolg. Hartung kann sich vor Interviewanfragen und Werbeangeboten kaum noch retten. Auch der Bundespräsident wird auf ihn aufmerksam und sieht in ihm den geeigneten Sprecher anlässlich des Festaktes im Bundestag. Bestimmte Personen fühlen sich auf den Schlips getreten, recherchieren auf eigene Faust, stellen Ungereimtheiten fest. Hartung überfordert die Situation zunehmend, erst recht ab dem Zeitpunkt als er sich verliebt. Gerade zu Beginn habe ich mich köstlich beim Lesen amüsiert. Die Protagonist:innen sind etwas überzeichnet, aber gut mit ihren Eigenarten dargestellt. Maxim Leo spielt mit zahlreichen Klischees - eine Gratwanderung, die ich größtenteils, aber nicht immer gelungen fand. Gut gefallen hat mir, dass trotz des leichten, humorvollen Erzählstils so einiges an historischem Wissen über die Lebensumstände in der DDR einfließen und auch deutlich wird, wie sehr Bilder/Vorurteile des Ost- und Westdeutschen noch in den Köpfen verankert sind.
Der „Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ ist eine unterhaltsame Lektüre für Zwischendurch, die ich mit 3,5 Sternen (auf vier aufgerundet) bewerte.