Inhalt bedrückend, Sprache gewaltig

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chrystally Avatar

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Dirk Gieselmann schildert die Lebensgeschichte von Hans, dem späteren Inselmann, mit einer Poesie, Ruhe und Bedacht, die in krassem Kontrast zu dem herzergreifenden Erleben des Protagonisten steht. Hans‘ Familie flieht vor der Stadt, dem engen Untermieterzimmer und der schmutzigen Fabrikarbeit, um autark auf einer Insel im nahegelegenen See zu leben. Doch vor der eigenen Sprachlosigkeit kann man nicht fliehen, und so bleibt der emotional vernachlässigte Hans auch dort alleine mit sich, vermisst seinen Freund, findet aber auch Trost bei den Tieren und in der Natur, bis ihn die gesellschaftlichen Zwänge in Form der Schulpflicht einholen. Und eine einfache Rückkehr gibt es nicht.
Gieselmann findet eindringliche Bilder und eine passende Sprache für eine sprachlose Familie. Oft wird mit feiner Beobachtungsgabe schlicht beschrieben, was Hans erlebt oder was um ihn herum geschieht, und weder großes Glück noch tiefes Unglück und Unrecht werden dabei bewertet, was diesen Schilderungen eine rohe Kraft verleiht. Kleine Naturbeobachtungen lassen die Inselwelt vor dem inneren Auge lebendig werden. Immer wieder erhält man aber auch Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt von Hans, die ihm meine Sympathie eingebracht haben und in ihrer Einfachheit und Direktheit überzeugend für ein emotional vernachlässigtes Kind waren.
Als Leserin hatte ich oft Mitleid mit Hans, habe ihn aber auch für seine Stärke und Resilienz bewundert, wie er trotz aller Widrigkeiten glückliche Momente findet. Daher ist die Geschichte zwar einerseits bedrückend, andererseits aber auch eine Inspiration zum Anderssein, zum Immerwiederaufstehen und dazu, auch das kleine Glück zu schätzen. Insgesamt von mir daher eine klare Leseempfehlung.
Disclaimer: Ich habe das Buch als kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Dies beeinflusst meine Rezension nicht.