Ein wahrlich farbenprächtiger und sprachlich virtuoser historischer Roman!

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swansea Avatar

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Der historische Roman (ET März 2016 bei Kiepenheuer & Witsch) von Tom Hillenbrand, vielen als Krimiautor bekannt, ist in gebundenem Format (HC) erschienen; die Covergestaltung ist sehr gelungen und zeigt historische Schiffe des 17. Jahrhunderts sowie eine Gruppe von Reisenden, die auf ihre Einschiffung zu warten scheinen: Ein Hinweis auf den Romaninhalt, der eine Reise von Holland bzw. Nizza ins Osmanische Reich beinhaltet, der an Farbenpracht und Spannung kaum Wünsche offenlässt....
Auf den Innenseiten des Covers ist jeweils eine historische Karte zu finden, die den Verlauf der Reise den Leser visuell folgen lässt (mit allen pieds und lieus ;) ).

"Am Ende des 17. Jahrhunderts verfällt Europa dem Kaffee. Philosophen in London, Gewürzhändler in Amsterdam und Dichter in Paris: Sie alle treffen sich in Kaffeehäusern und konsumieren das Getränk der Aufklärung.
Aber Kaffee ist teuer. Und wer ihn aus dem jemenitischen Mocha herausschmuggeln will, wird mit dem Tod bestraft. Der Mann, der es trotzdem wagt, ist der junge Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou. Er hätte allen Grund sich umzubringen, nachdem er an der Londoner Börse Schiffbruch erlitten hat. Nur ein großes Geschäft, ein ganz großes, könnte ihn vor dem Ruin bewahren. Und so geht er aufs Ganze: Mit finanzieller Unterstützung der Vereinigten Ostindischen Comagnie stellt er eine Truppe internationaler Spezialisten zusammen, um den Türken den Kaffee zu klauen. Die spektakuläre Reise scheint zunächst zu gelingen, doch dann sind immer mehr Mächte hinter ihnen her....." (Quelle: Klappentext)

Obgleich ich mich aufgrund der antiquierten Sprache, die mir dann doch zunehmend gefallen sollte (ist sie doch der Sprache des 17. Jahrhunderts angeglichen bzw. in die passende Form gegossen), durch die ca. ersten 150 Seiten etwas quälte, nahm mich die Handlung dann doch mehr und mehr gefangen. Während die erste knappe Hälfte des Romans die prekäre Situation von Obediah Chalon, dem Hauptprotagonisten, beschreibt, der als Virtuosi, Spekulant und Fälscher, aber auch den Naturwissenschaften und Gelehrten seiner Zeit nahesteht, beschreibt, der aus England nach Amsterdam fliehen muss, um seine Haut nach einer misslungenen Fälschung zu retten; geht es in der zweiten Romanhälfte um die Reise, die Obediah mit seinen skurrilen Weggefährten zu einem reichen Mann machen soll....

Dieses fiktive Geschehen um den Raub der Kaffeepflanze für die VOC, die damit das Monopol der Türken auf den Kaffeeanbau untergraben will und Obediah die Reise als mächtige Handelsgesellschaft finanziert, nimmt mit dem Aufbruch der Gefährten an Spannung viel Fahrt auf, da ihnen trotz chiffrierter Korrespondenz bereits ein Musketier in Diensten des Sonnenkönigs Louis XIV., auf den Fersen ist: Wir lesen von der "République des Lettres", dem Obediah angehört und bei dem es sich um ein Korrespondenz-Netzwerk von Wissenschaftlern und Gelehrten des 17. Jahrhunderts handelt: Obediah bezieht zahlreiche Informationen über chiffrierte Briefe, die "kaffeehauslagernd" in alle Welt gehen - und vom Adressaten beantwortet werden. Chalon bedient sich cleverer Verschlüsselungscodes, die selbst den Chefkryptologen des Königs, Rossignol, vor schier unlösbare Aufgaben stellen... So nimmt die Korrespondenz zurecht eine zentrale Rolle ein, da sie dem Leser den Stand der Intrigen und falschen Fährten offenbart und zuweilen vergnüglich zu lesen sind; von Vorteil ist es durchaus, Französischkenntnisse zu haben, wenn es um pieds oder lieus geht...

Der Kaffeedieb liest sich wie ein opulentes Zeit- und Sittengemälde im späten 17. Jahrhundert, der aufkeimenden Zeit der Aufklärung und nennt bekannte Philosophen und Mathematiker, die in ihrer jeweiligen Wissenschaft in die Geschichte eingingen: Hier hat der Roman ein hohes Potential, den eigenen Wissensstand um die Welt des 17. Jahrhunderts - atmosphärisch dicht beschrieben - zu erweitern, was mir persönlich sehr gefiel. Auch die Tatsache, dass auch damals schon "genetzwerkt" wurde, nur eben unter Zuhilfenahme anderer Mittel als der heutigen, ließ mich in aller Konsequenz erstaunen und so manches gefüllte Brieffach in einem Kaffeehaus erschien vor meinem geistigen Auge....

Als Besonderheit dieses historischen Romans würde ich den Sprachstil, der ganze Konzentration des Lesers erfordert und die Wissenserweiterung nennen. Sowohl der Hauptprotagonist Obediah Chalon als auch seine Weggefährten sind sehr bildhaft und authentisch beschrieben; ebenso der Widersacher Chalon's, das Schwarze Musketier des Königs, Polignac, der sich dem verhassten Virtuosi und dessen geheimnisvollen Machenschaften an die Fersen hängt.... Der Reiseverlauf ist mit Spionen 'en masse' gepflastert und meist spannungsgeladen, lediglich der eigentlich Raub der Kaffeepflanzen auf der Anhöhe von Mocha kam m.E. etwas zu kurz; der Abschluss hingegen war stimmig.

Fazit:
Lässt man sich als Leser auf die etwas gewöhnungsbedürftige Sprache sowie auf die zahlreiche Korrespondenz im Buche ein (hier hätte das eine oder andere 'détail' auch weggelassen werden können), ist dieser opulente historische Roman voller interessanter historischer Fakten und von einer Farbenpracht durch sehr detaillierte Beschreibungen und dichter Atmosphäre, dass das Lesen ein Vergnügen ist Daher von mir "avec plaisir" 4,5 Sterne am historischen Romanhimmel und 89° auf der "Histo-Couch" sowie eine klare Leseempfehlung.