Die Abgehängten

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amara5 Avatar

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Nach seinem weltreich erfolgreichen Debütroman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ veröffentlichte Ocean Vuong ein Gedichtband – nun hat er seinen zweiten Roman „Der Kaiser der Freude“ geschrieben, in dem er seinen jungen Protagonisten Hai zwischen Hoffnung, Tristesse und menschlichen Zusammenhalt in einer trostlosen US-Provinzstadt pendeln lässt.

Der junge Studienabbrecher mit vietnamesischen Wurzeln Hai will sich eigentlich von einer Brücke in der fiktiven Kleinstadt East Gladness in Connecticut stürzen – da halten ihn die Rufe der 82-jährigen Grazina auf. Sie ist vor längerer Zeit aus Litauen eingewandert, an Demenz erkrankt, braucht allerhand Medikamente und sucht in ihrem Haus Unterstützung im täglichen Ablauf. Kurzerhand bilden die beiden ein Gespann und Hai zieht ein – seiner Mutter gaukelt er am Telefon vor, noch zu studieren, aber er sucht sich einen Job im nahegelegenen Schnellrestaurant. Dort trifft er auf weitere von der Gesellschaft „abgehängten“ Menschen, die zwar alle vom Leben gebeutelt sind und ihre Schrullen haben, aber gemeinsam ein stützendes Team bilden. Bei Grazina kommen nachts die Geister der Vergangenheit halluzinatorisch zutage, die sich mit ihrer Demenzkrankheit vermischen – hier versucht Hai zu beruhigen und gemeinsam bilden sie ein Gespann, das Halt im Gegenüber und im Geschichten erzählen findet. Denn auch Hai kämpft mit den Traumen seiner Vergangenheit, die von Opioidsucht und dem Verlust eines nahen Freundes geprägt ist – bewegende Rückblenden bringen ihn zudem in sein Heimatland zu der schizophrenen Großmutter.

Ocean Vuong ist sehr sprachgewandt und lyrisch – einzigartige Metaphern, in denen sich die Natur und die Stadt gleichsam spiegelt, treffen auf menschliche Zerrissenheit. Dass die Geschichte nicht ins Kitschige überdriftet, meistert der Autor mit seinem klugen Humor und seiner einfühlsamen Poesie – gekonnt navigiert er durch tiefe Traurigkeit und absurd-komischen Erlebnissen. Auf knapp über 500 Seiten hat Ocean Vuong einen sehr lesenswerten Bildungsroman entworfen, der neben der facettenreichen Selbstfindung des Protagonisten im Außen zahlreiche Themen aufgreift: die Opioidkrise in den USA, der harte Arbeitsmarkt im Kapitalismus, Einwanderung in die USA, industrielle Tierschlachtung, Mental Health, Queerness, Kriegstraumata, Abnabelung von der Familie, ohne die Wurzeln zu verlieren.

Zwischen viel Hoffnungslosigkeit in prekären Verhältnissen leuchtet immer wieder die Freude über das Leben in diesem empfehlenswerten Roman – und Ocean Vuong jongliert bravourös und mit viel Erzählfreude durch die scharf beobachtenden Augen seines Protagonisten durch diese Höhen und Tiefen in der amerikanischen Provinzstadt.