Poetisch durch und durch

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Mit „Der Kaiser der Freude“ beweist Ocean Vuong einmal mehr, dass er ein Meister der Sprache ist. Poetisch, feinfühlig und voller Intensität erschafft er eine literarische Atmosphäre, die von der ersten Seite an fesselt. Die Sprache ist wunderschön – teils zart, teils schonungslos – und verleiht dem Roman eine schwebende Qualität, die weit über das hinausgeht, was viele zeitgenössische Romane leisten.

Inhaltlich wagt sich Vuong an eines der drängendsten Themen der Gegenwart: die Fentanyl-Krise in den USA. Mit scharfer Beobachtung und literarischem Feingefühl zeichnet er ein düsteres Porträt eines zerrissenen Amerikas, das zwischen Schmerz, Abhängigkeit und dem verzweifelten Wunsch nach Liebe taumelt. Der Roman ist dabei weniger eine klassische Erzählung mit klarer Handlung als vielmehr ein atmosphärisches Mosaik aus Erinnerungen, Gedanken und Empfindungen.

Gerade diese erzählerische Entscheidung ist Fluch und Segen zugleich: Über weite Strecken trägt allein die Sprache. Die Handlung bleibt zurückhaltend, fast nebensächlich, was sich bei einem Umfang von über 500 Seiten als spürbare Schwäche bemerkbar macht. Wer auf eine dichte, stringente Handlung hofft, könnte enttäuscht werden. Vielmehr gleicht das Lesen einer poetischen Meditation, bei der es weniger ums Geschehen als um das Gefühl geht.

Trotz dieser dramaturgischen Schwäche bleibt „Der Kaiser der Freude” ein bemerkenswertes Werk. Es ist kein einfaches Buch, aber ein eindrucksvolles, das nachhallt. Vuong gelingt es, Schmerz in Poesie zu verwandeln und dabei den Finger auf die offenen Wunden unserer Zeit zu legen.

Fazit: sprachlich brillant, thematisch relevant, atmosphärisch stark, aber mit deutlichen Längen. Ein Buch, das man eher fühlt als „liest“. Trotzdem absolut lesenswert.