Unverschämt gut!

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Ocean Vuong: Der Kaiser der Freude

Übersetzt: Nikolaus Stingl, Anne-Kristin Mittag

Ich bin verliebt, verliebt in dieses Buch, in diese Sprache, in diese Geschichte, die Ocean Vuong erzählt. Schon “Auf Erden sind wir kurz grandios“ gehört zu meinen absoluten Lieblingsbüchern und nun kommt Ocean Vuong mit dem nächsten Schlag in die Magengrube… “Der Kaiser der Freude“, schon der Titel klingt wie eine Drohung, dass man besser Taschentücher bereithalten sollte. Und siehe da: Ich wurde nicht enttäuscht.
Vuong erzählt hier eine zarte, melancholische Geschichte über Freundschaft (unabhängig vom Alter), über Zusammenhalt, Zugehörigkeit in schweren Zeiten, über Familie und Identität.

Wir begleiten Hai, depressiv, tablettenabhängig und mit dem Leben eigentlich schon durch. Er vegetiert in East Gladness, einem Ort, der so hoffnungslos ist, wie sein Name zynisch klingt. Nach einer Notlüge an seine Mutter versucht er, sich halbherzig in einen Entzug zu retten, nicht ganz erfolgreich und wartet darauf, dass sich das Leben von selbst bessert. Er steckt fest. Doch dann trifft er auf Grazina, eine alte Frau aus Litauen, Überlebende des Zweiten Weltkriegs, verfolgt von den Geistern ihrer Vergangenheit. Zwischen diesen beiden gebrochenen Seelen entsteht eine stille, tief berührende Freundschaft, die gleichzeitig warmherzig und tragisch ist, so zart erzählt, dass man kurz vergisst, wie kaputt alles ist. Hai wird ihr Pfleger und sie, auf ihre Art, seine Retterin. Als Hai schließlich einen Job in einem Diner annimmt, wo auch sein kleiner Cousin Sony, mit der Mutter im Knast und Zukunft auf Warteschleife, arbeitet, entsteht ein neuer Halt. Hai rutscht in die Rolle des großen Bruders, ohne dass jemand es laut ausspricht. Die beiden erleben kleine, stille Momente des Trosts und der Verbundenheit, die sich ganz natürlich entfalten. Zwischen Cornbread, Brathuhn und kleinen Alltagskatastrophen entsteht so etwas wie Zugehörigkeit auch mit den anderen Mitarbeiter*innen. Familie auf Umwegen.

Das Buch ist melancholisch, ja, aber nie hoffnungslos. Manche Szenen sind so schön, dass ich lächeln musste, andere so traurig, dass ich schlucken musste. Vuong schafft es, die tieftraurigen, düsteren Kapitel mit so viel Poesie und feinem Humor zu durchziehen, dass man sich trotzdem beim Lächeln erwischt. Seine Sprache ist wahnsinnig intensiv und mitreißend, eine Sprache, die nicht schreit, sondern trägt: durch Schmerz, durch Schönheit, durch alles dazwischen. Man leidet, lacht, schluckt, liest weiter. Weil es einfach verdammt gut geschrieben ist. Am Ende habe ich das Buch weggelegt, etwas zerzaust, etwas verliebt und habe mich gefragt, wie Vuong es schon wieder geschafft hat, mit so viel Schönheit über so viel Schmerz zu schreiben.

Unverschämt gut!