Zutiefst menschlich

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kalli72 Avatar

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Ocean Vuong, der bereits mit seinem Debütroman Auf Erden sind wir kurz grandios einen bleibenden Eindruck in der literarischen Welt hinterließ, kehrt mit Der Kaiser der Freude zurück – und liefert erneut ein Werk, das ebenso zärtlich wie zornig, ebenso poetisch wie politisch ist.

Im Zentrum der Geschichte steht Hai, ein junger, queerer Mann mit vietnamesischen Wurzeln, der in dem trostlosen Ort East Gladness, New England, lebt – einem Amerika, in dem die Hoffnung der Obama-Ära nur noch auf verwitterten Wahlplakaten existiert. Hai ist ein stiller Beobachter, zerrieben zwischen Herkunft, Trauma und der banalen Grausamkeit des Alltags. Er schluckt Medikamente, um den Schmerz zu dämpfen, und trägt einen bleiernen Überdruss in sich. Bis er Grazina trifft – eine Überlebende des Zweiten Weltkriegs aus Litauen, voller Widersprüche und Erinnerungen, die sie heimsuchen wie Gespenster.

Diese ungewöhnliche Freundschaft zwischen zwei Menschen, die von der Geschichte und ihren eigenen Körpern gezeichnet sind, wird zum Herzstück des Romans. Vuong erzählt sie mit einer Wärme und Tiefe, die selten geworden ist in der Gegenwartsliteratur. Es ist eine Verbindung jenseits von Generation, Nationalität oder sexueller Orientierung – getragen von einer stillen Solidarität der Ausgestoßenen.

Der Schauplatz des Diners, in dem Hai Arbeit findet, ist dabei mehr als bloße Kulisse. Es wird zu einem Mikrokosmos der amerikanischen Gesellschaft: Ein Ort der Rastlosen, der Vergessenen, derer, die vom System nie gemeint waren. Vuong beschreibt diese Welt mit einem Blick, der scharf, liebevoll und unerbittlich zugleich ist. Die Sprache changiert zwischen der rauen Direktheit des Alltags und der Lyrik tiefer Innerlichkeit. Manche Sätze klingen nach Gedicht, andere wie ein Aufschrei.

Was Der Kaiser der Freude so besonders macht, ist die Fähigkeit des Autors, Schmerz in Schönheit zu verwandeln, ohne ihn zu beschönigen. Vuong beschwört keine Heilung herauf, sondern ein Weiterleben – trotz allem. In Hai steckt all das: migrantisches Erbe, queere Identität, Depression, Überlebenswille. Und in Grazina begegnet ihm ein Echo, eine Art Spiegel, in dem Vergangenheit und Gegenwart sich begegnen.

Fazit:
Der Kaiser der Freude ist ein zutiefst menschlicher Roman über das Leben am Rand, über Erinnerung, Trauma, Zugehörigkeit und unerwartete Zuneigung. Ocean Vuong gelingt es erneut, mit leiser Stimme laut zu sprechen. Ein berührendes, mutiges und poetisches Buch, das lange nachhallt.