Zwischen allen Fronten

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buecherfan.wit Avatar

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“Der katholische Bulle” ist Adrian McKintys zwölfter Roman und der erste Teil einer geplanten Trilogie unter dem Titel “The Troubles Trilogy”. Der erste Band spielt 1981 während der “Troubles” genannten bürgerkriegsähnlichen Zustände in Nordirland. 30 Jahre lang (1969-1999) bekämpften sich Protestanten und Katholiken in einem blutigen Krieg, in dem es nicht nur um Religionszugehörigkeit, sondern auch um politische und wirtschaftliche Belange ging. Um diesen Konflikt überhaupt verstehen zu können, muss man vor allem eins wissen: die protestantische Mehrheit wünscht den Verbleib im Vereinigten Königreich. Das sind die sogenannten Loyalisten. Die katholische Minderheit hasst die Briten wegen der 800 Jahre dauernden Unterdrückung Irlands und wünscht die Aufhebung der seit 1921 bestehenden Teilung der Insel und Wiedervereinigung mit dem überwiegend katholischen Süden, der irischen Republik. Die Extremisten auf beiden Seiten mit ihren unzähligen militanten Splittergruppen haben lange Zeit den Friedensprozess behindert.

Zu Beginn des Romans sind gerade im Maze-Gefängnis die ersten beiden IRA-Gefangenen im Hungerstreik gestorben. Die Insassen wollen als politische Gefangene anerkannt werden, ein Status, der ihnen zwischenzeitlich aberkannt worden war. Belfast ist eine in protestantische und katholische Viertel aufgeteilte Kampfzone mit Straßen, in denen Polizisten auch im Kampfanzug und in gepanzerten Fahrzeugen ihr Leben riskieren. Die Kontrolle der Unterseite des Fahrzeugs auf Bomben ist notwendige Routine vor jeder Fahrt. Jeder neue Tote führt zu Krawallen und Terroranschlägen.

In dieser brisanten Situation hat Detective Sergeant Sean Duffy seinen Dienst in der kleinen Polizeistation von Carrickfergus, einem Vorort von Belfast, angetreten. Er ist eigentlich Psychologe mit einem hervorragenden Abschluss der Universität von Belfast, hat sich aber für den Polizeidienst bei der RUC (Royal Ulster Constabulary) entschieden, obwohl er Katholik ist. Als Polizist gilt er als Handlanger des britischen Imperialismus, als Katholik wird er erst recht zur Zielscheibe der IRA, weil er die katholische Sache verrät, und protestantische Extremisten hassen ihn sowieso. Er hat sich ein Haus in einem protestantischen Arbeiterviertel von Carrickfergus gekauft - ein zusätzliches Sicherheitsrisiko.

Dann wird Duffy gleich mit seinem ersten Fall betraut. Ein Toter wird mit einer abgeschnittenen Hand in einem Auto gefunden, was eigentlich ein Indiz für die Bestrafung eines Informanten ist. Dann wird ein zweiter Toter unter ähnlichen Umständen gefunden. Beide Opfer waren schwul. Nun sieht es eher nach einem homophoben Serienkiller aus. Wenig später wird auch noch die Leiche von Lucy Moore erhängt in einem Wald gefunden. Die junge Frau galt schon seit Monaten als vermisst.

Nur Sean Duffy ist an echter polizeilicher Ermittlungsarbeit interessiert. Sein Vorgesetzter will alle Akten schnell schließen. Lucy Moores Tod wird als Selbstmord abgehakt, und tote Schwule sind angesichts der brenzligen Lage in Belfast völlig uninteressant, zumal Homosexualität zu der Zeit strafbar war. Obwohl Duffy schon nach einer Woche von den Schwulenmorden abgezogen wird, verbeißt er sich gegen die ausdrücklichen Anweisungen von Chief Inspector Brennan weiter in die drei Fälle und ermittelt auf eigene Faust. Er findet Spuren und Indizien, tritt dabei sowohl den paramilitärischen Organisationen als auch dem britischen Geheimdienst gewaltig auf die Füße und überlebt den Mordanschlag eines sechsköpfigen Killerkommandos nur knapp.. Offiziell wird er davor gewarnt, sich seinem Verdächtigen zu nähern, inoffiziell erhält er jedoch gleichzeitig alle Informationen, um den Fall auf seine Weise abzuschließen.

Der Roman um den sympathischen Protagonisten Sean Duffy liest sich sehr gut. Man hat allerdings nur wirklich etwas davon, wenn man den zeitgeschichtlichen Hintergrund kennt. Bei einem angelsächsischen und irischen Publikum kann der Autor diese Kenntnisse voraussetzen, bei Lesern außerhalb von Großbritannien und Irland eher weniger. Ohne Vorkenntnisse ist die in den Nordirlandkonflikt eingebettete Krimihandlung reichlich verwirrend, die Lektüre von daher frustrierend.

Ich finde McKintys neuen Roman ganz hervorragend und bin gespannt auf die Folgebände, auf die der halboffene Schluss bereits abzielt. Ein sehr empfehlenswertes Buch.