Eine Klasse für sich

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tina_24_7 Avatar

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Sandro Veronesis "Der Kolibri" ist, ich nehme es gleich vorweg, außergewöhnlich.

Eine Familiengeschichte um den Augenarzt Marco, dessen Leben wir begleiten, und der im Laufe dieses Lebens vom Schicksal nicht verschont wird.
Bemerkenswerter Beginn der Geschichte ist ein Schweigepflichtsbruch des Therapeuten von Marcos Frau, in dem er Marco vor einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr warnt und ihm den Ehebruch seiner (Marcos) Frau verrät.
Diese erschütternde Erkenntnis ist allerdings eher noch einer der kleineren Tiefpunkte im Leben des gutmütig Marco, der Zeit seines Lebens unglücklich verliebt versucht, seine Familie zusammenzuhalten.

Dabei wird auch dem Lesenden einiges abverlangt.
Wie ein zefleddertes Tagebuch reihen sich Kapitel aus Marcos Leben scheinbar unsortiert aneinander. Dankenswerterweise hat der Autor jedes Kapitel mit einer Zeitangabe versehen, was das gedankliche Sortieren der Ereignisse erleichtert. (Ich habe parallel zum Lesen Notizen über die Chronologie gemacht, was ich sehr hilfreich fand.)
Außerdem sind die Kapitel in völlig unterschiedlichen Arten verfasst:
- kurze Dialoge ohne jede Beschreibung
- Briefe
- Emails
- romanhafte Beschreibungen
- philosophische bzw. utopische Exkurse
Kurz: das Lesen wird weder inhaltlich noch von der Form her je langweilig.

Was ist "Der Kolibri"?
Familienroman, Liebesgeschichte, Gesellschaftskritik, Zukunftsvision?
Von allem etwas, von nichts zu viel.
Unbedingt lesenswert, auch wenn mich der ein oder andere Bandwurmsatz in den Wahnsinn getrieben hat.
Ein Buch, das ich nicht mehr aus der Hand legen konnte, bis ich am gedanklich und emotional sehr fordernden Ende war.