Raffinierte Erzählkunst, die mich nicht ganz erreicht hat

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lillywunder Avatar

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Es ist Sandro Veronesis raffinierte Erzählkunst, mit der sein Roman "Der Kolibri" besticht und ihm den "Premio Strega" einbrachte, Italiens wichtigsten Literaturpreis. Er erzählt die Geschichte eines Mannes, der angesichts von persönlichen Trägödien versucht, sein Leben und seine Familie zusammenzuhalten.

Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag für Marco Carrera als er erfährt, dass seine Frau ein Kind erwartet - allerdings nicht von ihm. Es ist nicht das erste Unglück, das über ihn hereinbricht, und es wird auch nicht das letzte sein. Er verliert nahe Menschen unter teils tragischen Umständen und seine große Liebe zu seiner Kindheitsfreundin Luisa bleibt unerfüllt. Was klingen könnte wie eine große Tragödie ist viel mehr eine Geschichte über das Leben an sich. Sandro Veronesi erzählt die Geschichte nicht düster, sondern mit mindestens einem lachenden Auge. Das Buch steckt voller Kuriositäten, heiterem Witz und Philosophie und zeigt einen Mann, der sich dem Leben stellt, der die Widerstandsfähigkeit aufbringt, um mit den Stürmen des Lebens fertig zu werden - wie der titelgebende Kolibri, der es durch die Vielzahl seiner Flügelschläge vermag, auf der Stelle bleiben zu können.

Von einer chronologischen Lebenserzählung sind wir dabei so weit wie nur irgend möglich entfernt. Die Geschichte springt vor und dann wieder zurück bis in die Kindheit, jedes Kapitelchen setzt woanders an und - hier zeigt sich Veronesis Raffinesse - folgt seinem ganz eigenen Stil: mal lesen wir einen typischen Romanabschnitt, dann einen Brief, einen reinen Dialog, eine E-Mail, dann ein Satz, der sich über mehrere Seiten streckt. Dieser Stil hat seinen ganz eigenen Reiz und - was ebenfalls wichtig ist - gibt ausreichend Orientierung, um sich in der Abfolge der Geschehnisse zurecht zu finden. Dass der Roman mich letztlich dennoch nicht vollkommen überzeugen konnte, liegt viel mehr daran, dass "Der Kolibri" zwar als echtes Unikat funktioniert, für mich aber trotz vieler feinsinniger Szenen nicht die Intensität hatte, um mich tiefer in die Geschichte zu ziehen, anstatt mich als reine Bewunderin der Erzählkunst außen vor zu lassen.