Von Schicksalsschlägen gebeutelt

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buecherfan.wit Avatar

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Im Mittelpunkt von Sandro Veronesis 2020 mit dem Premio Strega ausgezeichneten Roman “Der Kolibri“ steht der Augenarzt Marco Carrera. Er stammt aus einer bürgerlichen Familie in Florenz, wird selbst später in Rom tätig sein. In 46 Kapiteln erzählt der Autor eine außergewöhnliche, etwa 70 Jahre umfassende Familiengeschichte, jedoch nicht chronologisch, sondern mit ständigen Zeitsprüngen. Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag. Der Psychoanalytiker seiner Frau bricht seine ärztliche Schweigepflicht, weil er glaubt, dass Marco in Gefahr ist. Seine Frau erwartet ein Kind von einem deutschen Piloten und wird ihn verlassen. Mit ihr hat er die geliebte Tochter Adele, die angesichts der Scheidung und des Rosenkriegs der Eltern psychische Auffälligkeiten entwickeln wird. Das Scheitern seiner Ehe ist jedoch nicht das einzige Unglück, das Marco zustößt. Er verliert im Laufe der Zeit vier geliebte Familienmitglieder. Er selbst will keine Veränderungen, sondern den absoluten Stillstand – wie der Kolibri, der mit unendlich vielen Flügelschlägen erreicht, dass er auf der Stelle verharren kann, aber diesen Wunsch vereitelt das Schicksal immer wieder durch den Tod von Angehörigen. Kolibiri wurde er als Kind genannt, weil er extrem klein, aber sehr beweglich war. Erst eine Therapie verhalf dem 15jährigen zu einem sprunghaften Wachstum und zu normaler Größe.
Die Todesfälle in seinem Umfeld waren aber nicht der einzige Grund, warum aus Marco kein glücklicher Mensch wurde. Schon als Jugendlicher verliebte er sich in Luisa, liebte sie ein ganzes Leben lang, aber nie wurde eine Beziehung daraus. Sie schrieben sich, sahen sich eine Zeit lang im Sommer am Meer, aber es blieb eine unerfüllte Liebe, weil Marco keinen Schritt auf sie zuging. Der einzige Lichtblick in seinem Leben ist die geliebte Enkelin Miraijin, die er im Auftrag seiner früh verstorbenen Tochter Adele zum Menschen der Zukunft erzieht. Sie ist wunderschön und hochbegabt und wird die Welt zu einer besseren machen.
Der sprachlich und gedanklich anspruchsvolle Roman ist keine leichte Lektüre. Die unzähligen Zeitsprünge und Ortswechsel setzen ein überdurchschnittliches Durchhaltevermögen voraus. Ohne die Jahresangaben zu Beginn der Kapitel wäre auch der noch so anstrengungsbereite Leser überfordert. Mir hat der Roman nicht so gut gefallen wie andere Bücher von Veronesi.