Der Klang der Stille – Ein äußerst feinsinniger Roman

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MEINE MEINUNG
Der neue Roman Der Krabbenfischer von Benjamin Wood ist eine eindrucksvolle, nur rund 170 Seiten umfassende Erzählung, die mit ihrer leisen Melancholie und dichten Atmosphäre von der ersten Seite an zu fesseln weiß. Gekonnt entführt uns Wood in die 1960er Jahre und den kleinen Küstenort Longferry, und lässt uns das raue, von den Naturgewalten geprägte Meeresklima und die karge, nebelverhangene Landschaft der Nordwestküste Englands unmittelbar spüren.
Im Mittelpunkt der an zwei aufeinanderfolgenden Tagen spielenden Geschichte steht der junge Krabbenfischer Thomas Flett, der sich Tag für Tag dem Rhythmus der Gezeiten folgend durch den schlickigen, einsamen Küstenstreifen kämpft und seine kräftezehrende, oft trostlose Arbeit verrichtet. Seine kleine, von Traditionen und familiärer Verantwortung geprägte Welt hält viele Entbehrungen und nur wenig glückliche Momente für ihn bereit.
Die Begegnung mit dem amerikanischen Regisseur Edgar reißt Thomas kurzzeitig aus seiner eintönigen Alltagsroutine heraus. Edgars verlockendes, zugleich aber auch eigenartiges Angebot, seine Vision einer perfekten Verfilmung vor Ort umzusetzen, bringt Thomas zum Innehalten und lässt ihn heimlich von Veränderung, Freiheit und einem besseren, selbstbestimmten Leben träumen. Während sich zwischen den beiden eine zarte Freundschaft entwickelt, beginnt Thomas, sich seinen unerfüllten Sehnsüchten zu stellen; sei es der Traum von eigener Gitarrenmusik oder der Wunsch, endlich den Mut aufzubringen, sich Joan, der Schwester seines Freundes, zu nähern.
Mit seinem prägnanten, einfühlsamen Schreibstil und zahlreichen poetisch ausdrucksstarken Bildern gelingt es Wood hervorragend, Thomas’ Alltag facettenreich und lebendig vor unserem inneren Auge entstehen zu lassen Mit viel Feingefühl zeichnet er das Gefühlsleben des Protagonisten, wobei stets viel Unausgesprochenes zwischen den Zeilen schwingt. Ob die herbe Schönheit des nebligen Wattenmeers, das mühsame Krabbenfischen mit Pferd und Wagen, die Kälte und Einsamkeit oder auch Thomas vorsichtiger Optimismus – Wood versteht es hervorragend, Landschaft und Natur ebenso eindringlich zu schildern wie Thomas Welt authentisch, ungeschönt und ohne jede Sentimentalität, einzufangen. Gekonnt zeichnet er das vielschichtige Porträt eines jungen Mannes, der im Spannungsfeld von Loyalität, Ohnmacht, Resignation und stiller Auflehnung seinem Traum von Selbstverwirklichung, ausgedrückt durch die eigene Musik, ein bisschen näher näherkommt.
Auf eindrucksvolle Weise setzt er der bedrückenden Trostlosigkeit und melancholischen Grundstimmung immer wieder einen Hauch von Hoffnung entgegen und hebt die leise Wirkkraft bescheidener Lebensziele und den sanften Zauber persönlicher Träume hervor. Behutsam verwebt er zudem faszinierende Elemente des magischen Realismus in die berührende Erzählung und verleiht ihr dadurch eine ganz eigene, betörende Magie.

FAZIT
Eine leise und einfühlsame Erzählung, die als berührende Momentaufnahme das Leben eines jungen Mannes portraitiert – bildgewaltig, psychologisch vielschichtig und atmosphärisch dicht erzählt. Ein nuancenreiches und intensives Leseerlebnis, das lange nachhallt und zum Nachdenken anregt.