Poetisch, melancholisch, atmosphärisch dicht
REZENSION – Bereits mit vier Romanen ist der britische Schriftsteller Benjamin Wood (44) in Großbritannien erfolgreich. Doch erst sein fünfter Roman „Seascraper“ wurde nun frühzeitig ins Deutsche übersetzt und erschien im Juli zeitgleich mit dem britischen Original als „Der Krabbenfischer“ beim Dumont Buchverlag. Zur Auswahl dieses Textes muss man den Verlag beglückwünschen: Der Roman ist thematisch, stilistisch und atmosphärisch etwas Besonderes, weshalb „Seascraper“ nur wenige Tage nach Erscheinen völlig zu Recht für den diesjährigen Booker Prize nominiert wurde, den wichtigsten Literaturpreis Großbritanniens.
Der Roman spielt im fiktiven Fischerdorf Longferry an der englischen Nordseeküste. Hier lebt der 20-jährige Thomas Flett mit seiner Mutter in Armut. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Schon als Kind zog er an der Seite seines Großvaters bei Niedrigwasser mit Pferd und Wagen ins Watt und erlernte den Krabbenfang nach alter Tradition mit Hand und Netz. Seit dem Tod des Großvaters geht Thomas, der schon vor Jahren die Schule abbrechen musste, um den Lebensunterhalt für sich und seine Mutter zu verdienen, bei Wind und Wetter Tag für Tag allein auf Krabbenfang – ein gefährliches, mühseliges und eintöniges Leben.
„Es gibt eine Art Schwerkraft, die ihn hier hält, eindeutig, obwohl er sich an den meisten Tagen danach sehnt, frei von ihr zu sein.“ Denn im Stillen träumt der junge Mann, der ohne deren Wissen in die Schwester seines Freundes verliebt ist, in einer Gefühlsmischung aus Resignation und Hoffnung vom Aufbruch in ein besseres, aufregenderes Leben: Heimlich lernt er Gitarre und hofft, einmal als Musiker auf der Bühne zu stehen. Als eines Tages der US-Regisseur Edgar Acheson bei seiner Mutter auftaucht und von seinem neuen Filmprojekt in Longferry schwärmt, scheint sich für Thomas die Tür in eine neue Welt zu öffnen: Der junge Krabbenfischer, der sich im Wattenmeer auskennt wie kein Zweiter, soll den Filmemacher bei Außenaufnahmen beraten und sogar vor laufender Kamera mitwirken. Thomas sieht seine Chance: „Pop hat ihm oft erklärt, dass man hellwach bleiben muss, um nicht zu verpassen, wenn die Gelegenheiten, die das Leben zu bieten hat, einem auf die Schulter klopfen.“ Doch schon nach einigen Tagen ist der Amerikaner wieder verschwunden. Der Traum von Hollywood ist wie eine Seifenblase geplatzt. Für Träume scheint das Leben in Longferry ungeeignet. „Vielleicht liege ich falsch, aber ist man nicht tot, wenn man nicht mehr träumt?“
Benjamin Woods „Krabbenfischer“ ist eine wunderbar poetische, melancholische Erzählung über das harte und entbehrungsreiche Leben eines jungen Fischers im Rhythmus der Gezeiten, zugleich voller Sehnsucht und Hoffnung auf Veränderung, auf die Erfüllung eines Traums. Sein Roman lebt nicht allein von der Handlung, die ruhig beginnt und sich erst gegen Ende ins Dramatische steigert, sondern viel mehr vom zurückhaltenden Sprachstil und seiner emotionalen Tiefe. Die Stärke des Romans liegt in der atmosphärischen Stimmung. Tragendes Element der Dramaturgie ist nicht zuletzt die Beschreibung der vom Menschen unbeeinflussbaren Naturgewalten, der rauen Küstenlandschaft, der wechselnden Gezeiten sowie des Wattenmeeres mit seinen gefährlichen Senklöchern und Nebelbänken. Die Natur ist nicht Kulisse des Romans, sondern spiegelt wie Ebbe und Flut ohne übertriebenes Pathos die innere Zerrissenheit des jungen Krabbenfischers.
Als „kraftvoll, ergreifend und poetisch“ empfiehlt Woods Landsmann und in Deutschland schon bekannterer Schriftstellerkollege Benjamin Myers („Offene See“, 2020) unbedingt die Lektüre des „Krabbenfischers“. Seine Empfehlung überrascht nicht: Auch in Myers aktuellem, atmosphärisch ähnlichen Roman „Strandgut“, der nur einen Monat zuvor ebenfalls im Dumont Buchverlag erschien, geht es um einen Lebenstraum und die raue Nordsee als emotionaler Spiegel. Wer Myers Werke schätzt, sollte unbedingt auch Benjamin Woods neuen und für den diesjährigen Booker Prize nominierten Roman lesen.
Der Roman spielt im fiktiven Fischerdorf Longferry an der englischen Nordseeküste. Hier lebt der 20-jährige Thomas Flett mit seiner Mutter in Armut. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Schon als Kind zog er an der Seite seines Großvaters bei Niedrigwasser mit Pferd und Wagen ins Watt und erlernte den Krabbenfang nach alter Tradition mit Hand und Netz. Seit dem Tod des Großvaters geht Thomas, der schon vor Jahren die Schule abbrechen musste, um den Lebensunterhalt für sich und seine Mutter zu verdienen, bei Wind und Wetter Tag für Tag allein auf Krabbenfang – ein gefährliches, mühseliges und eintöniges Leben.
„Es gibt eine Art Schwerkraft, die ihn hier hält, eindeutig, obwohl er sich an den meisten Tagen danach sehnt, frei von ihr zu sein.“ Denn im Stillen träumt der junge Mann, der ohne deren Wissen in die Schwester seines Freundes verliebt ist, in einer Gefühlsmischung aus Resignation und Hoffnung vom Aufbruch in ein besseres, aufregenderes Leben: Heimlich lernt er Gitarre und hofft, einmal als Musiker auf der Bühne zu stehen. Als eines Tages der US-Regisseur Edgar Acheson bei seiner Mutter auftaucht und von seinem neuen Filmprojekt in Longferry schwärmt, scheint sich für Thomas die Tür in eine neue Welt zu öffnen: Der junge Krabbenfischer, der sich im Wattenmeer auskennt wie kein Zweiter, soll den Filmemacher bei Außenaufnahmen beraten und sogar vor laufender Kamera mitwirken. Thomas sieht seine Chance: „Pop hat ihm oft erklärt, dass man hellwach bleiben muss, um nicht zu verpassen, wenn die Gelegenheiten, die das Leben zu bieten hat, einem auf die Schulter klopfen.“ Doch schon nach einigen Tagen ist der Amerikaner wieder verschwunden. Der Traum von Hollywood ist wie eine Seifenblase geplatzt. Für Träume scheint das Leben in Longferry ungeeignet. „Vielleicht liege ich falsch, aber ist man nicht tot, wenn man nicht mehr träumt?“
Benjamin Woods „Krabbenfischer“ ist eine wunderbar poetische, melancholische Erzählung über das harte und entbehrungsreiche Leben eines jungen Fischers im Rhythmus der Gezeiten, zugleich voller Sehnsucht und Hoffnung auf Veränderung, auf die Erfüllung eines Traums. Sein Roman lebt nicht allein von der Handlung, die ruhig beginnt und sich erst gegen Ende ins Dramatische steigert, sondern viel mehr vom zurückhaltenden Sprachstil und seiner emotionalen Tiefe. Die Stärke des Romans liegt in der atmosphärischen Stimmung. Tragendes Element der Dramaturgie ist nicht zuletzt die Beschreibung der vom Menschen unbeeinflussbaren Naturgewalten, der rauen Küstenlandschaft, der wechselnden Gezeiten sowie des Wattenmeeres mit seinen gefährlichen Senklöchern und Nebelbänken. Die Natur ist nicht Kulisse des Romans, sondern spiegelt wie Ebbe und Flut ohne übertriebenes Pathos die innere Zerrissenheit des jungen Krabbenfischers.
Als „kraftvoll, ergreifend und poetisch“ empfiehlt Woods Landsmann und in Deutschland schon bekannterer Schriftstellerkollege Benjamin Myers („Offene See“, 2020) unbedingt die Lektüre des „Krabbenfischers“. Seine Empfehlung überrascht nicht: Auch in Myers aktuellem, atmosphärisch ähnlichen Roman „Strandgut“, der nur einen Monat zuvor ebenfalls im Dumont Buchverlag erschien, geht es um einen Lebenstraum und die raue Nordsee als emotionaler Spiegel. Wer Myers Werke schätzt, sollte unbedingt auch Benjamin Woods neuen und für den diesjährigen Booker Prize nominierten Roman lesen.