Eine Leich' im Belvedere

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
clematis Avatar

Von

Wien, Belvedere, im Jahre 1908: Erst wird eine abgehackte Hand im Brunnen gefunden, dann der Rest der Leiche, der Kopf jedoch bleibt unentdeckt und somit auch die Identität des Toten. Pospischil steht vor einem Rätsel, dessen Aufklärung hat allerdings höchste Wichtigkeit, residiert doch Thronfolger Franz Ferdinand mit seiner Familie im Oberen Belvedere, die keinesfalls mit solch scheußlichen Dingen konfrontiert werden soll. Außerdem steht in der Kunstsammlung des Unteren Belvedere die Ausstellung von Klimts neuestem Werk „Der Kuss“ unmittelbar bevor. Einen Skandal um eine zerstückelte Leich‘ kann also zurzeit niemand gebrauchen. Pospischil muss sehr diskret vorgehen und sich außerdem als ziviler Polizist gegen die Beamten des Hofstaates durchsetzen.

Mit interessanten Einblicken in die damalige Kunstszene beginnt dieser wunderbare historische Krimi rund um Pospischil. Klimt steht im Mittelpunkt des Interesses, soll doch viel Geld für den Ankauf seines jüngsten Gemäldes in die Hand genommen werden. Danach begegnet der Leser der Familie Kührer, der Vater ist arbeitslos, die Mutter verdient das Geld als Putzfrau im Belvedere und muss noch dankbar sein, dass ihr diese Stelle überhaupt vermittelt worden ist. Sehr anschaulich werden die handelnden Figuren in Szene gesetzt, schnell hat man die wichtigsten Personen vor Augen. Der Dialekt, welcher den Menschen immer wieder in den Mund gelegt wird, ist gut zu verstehen und rundet das Bild passend ab.

Christine Neumeyer versteht es, ein authentisches Wien lebendig werden zu lassen mit Pferdekutschen neben der neuen Elektrischen, die dem Polizeiagenten nicht recht geheuer ist, mit detaillierten Beschreibungen vom Schloss Belvedere, den blühenden Gartenanlagen und den kunstvollen Brunnen. Wer mit Pospischil, dem sympathischen Sechzigjährigen, schon vom Krimi „Der Offizier der Kaiserin“ vertraut ist, wird sich gut an ihn erinnern, alle anderen lernen ihn nun kennen mit seinem kriminalistischen Spürsinn, seiner Liebe zu Mensch und Tier und seiner Freude an kulinarischen Genüssen. Der junge Frisch an seiner Seite hat diesmal nur eine kleine Rolle inne, steht aber wieder für moderne Verfahren und zukunftsweisende Ermittlungsmethoden ein. Schließlich will er sein umfassendes Wissen noch um die Pathologie erweitern.

Detaillierte Recherche liegt diesem historischen Krimi zugrunde, viele interessante Einzelheiten flicht die Autorin gekonnt und ohne lange Abschweifungen in die Handlung ein, sodass man beim Lesen das Gefühl hat, in die Welt vor über hundert Jahren einzutauchen. Das Schicksal der Familie Kührer berührt ebenso wie jenes von Fürstin Sophie, Gattin von Franz Ferdinand. Nicht zuletzt steht Pospischils Schwester Gerti stellvertretend für starke Frauen im damaligen Wien. Vielfältig gestalten sich die Ermittlungsarbeiten quer durch alle Gesellschaftsschichten, falsche Fährten halten die Spannung hoch, um dann am Ende eine völlig unerwartete Überraschung zu präsentieren.. Verständlich und nachvollziehbar ist der Verlauf allemal.

Ein Buch mit Atmosphäre, Kunst und Mord – flüssig verfasst und fesselnd beim Lesen. Kurzum, alles, was ein guter Krimi braucht. Ich freue mich, falls Pospischil auf seine alten Tage noch einmal ermitteln sollte und schaue ihm und Assistenten Frisch gerne wieder über die Schulter.


Titel Der Kuss des Kaisers
Autor Christine Neumeyer
ISBN 978-3-7117-2136-5
Sprache Deutsch
Ausgabe Gebundenes Buch, 274 Seiten, ebenfalls erhältlich als ebook
Erscheinungsdatum 22. Februar 2023
Verlag Picus