Kaiser - Klimt - Kuss - Kopf

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Gerade ist ja die digitale Ausstellung "Klimts Kuss" in aller Munde. Wer sich auch auf literarischer Ebene mit dem Künstler und seinem wohl berühmtesten Werk befassen möchte, dem sei Christine Neumeyers historischer Krimi "Der Kuss des Kaisers" empfohlen. Der (historisch verbürgte) Ankauf des Bildes durch die österreichische k. u. k. Monarchie im Jahr 1908 bildet die Rahmenhandlung und den Aufhänger für die fiktive Krimihandlung. Ein Schauplatz des Romans und "Tatort" des Verbrechens ist das Wiener Schloss Belvedere, in dessen Kunstgalerie das Bild seit dem Ankauf und bis heute hängt. Man erfährt bei der Lektüre viel über die Provenienz des Bildes und die historischen Umstände des Ankaufs. Der "alte" Kaiser Franz Joseph war damals noch an der Macht und im Gegensatz zu seinem designierten Nachfolger Franz Ferdinand war er modernen Künstlern wie Klimt durchaus aufgeschlossen, daher auch der Titel des Romans.

Was mir sehr gefallen hat an diesem Roman ist der Spannungsaufbau im ersten Drittel. Der Mord passiert nicht etwa ganz am Anfang, sondern die Geschichte baut sich langsam auf und wir lernen bereits das Opfer relativ gut kennen, bevor wir wissen um wen es sich handelt. Es schwant einem bei der Lektüre der ersten Kapitel dass etwas Unheilvolles in der Luft liegt, so wie im Herbst 1908 wo die Handlung spielt, der Erste Weltkrieg bereits seine Schatten auf das allmählich aussterbende Kaiserreich wirft. Auch wenn man gar nicht wissen würde, dass es sich um einen Krimi handelt, würde man denken: hier passiert gleich was.

Neumeyers sympathische Ermittlerfigur Pospischil hat mir schon im ersten Band der Reihe ("Der Offizier der Kaiserin") ausnehmend gut gefallen. Seit den Geschehnissen um Kaiserin Sisi im Marchfeld sind mittlerweile 10 Jahre ins Land gezogen und der "geheime Kriminalermittler in Angelegenheiten zum Schutz des Hauses Habsburg und der Monarchie" steht nunmehr kurz vor der Pensionierung. Dem gutmütigen Kriminaler steht in diesem Band auch ein Hund zur Seite, was für ein paar wenige warme Momente in der sehr düsteren Handlung sorgt.
Auch durch Pospischils liebevolle Beziehung zu seiner Schwester Gerti blitzt etwas Menschlichkeit durch. Der Schlagabtausch der beiden ist höchst amüsant und wirkt zeitgenössisch authentisch, auch wenn die Enge der Beziehung der beiden partnerlosen Geschwister im fortgeschrittenen Alter für heutige Augen doch etwas merkwürdig anmutet. Neben Pospischil lernen wir auch seinen jungen Kollegen Frisch besser kennen. Ich könnte mir aufgrund des Epilogs gut vorstellen, dass wir in den nächsten Bänden der Reihe - sollte es sie denn hoffentlich geben - Frisch an Pospischils Stelle sehen. Allerdings hoffe ich dass Pospischil "Sidekick" bleibt und aus der Rente heraus Frisch assistierend weiter ermittelt - so ganz möchte ich mich noch nicht von ihm trennen.

"Der Kuss des Kaisers" zeichnet ein perfektes Portrait des morbiden Wien und kommt alles in allem recht düster, blutig, abgründig und fast nihilistisch daher. Die Härte und Flüchtigkeit des Daseins wird durch die herbstliche Atmosphäre einmal mehr betont. Sie macht auch vor den Mächtigen auf der vermeintlichen Sonnenseite des Lebens nicht halt (Trigger-Thema: Totgeburt). Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Herzogin Sophie, kommen als handelnde Figuren im Roman vor. Weil man weiß dass die beiden 1914 beim Attentat von Sarajevo, das den Ersten Weltkrieg auslösen wird, umkommen werden, gibt das dem Ganzen einen noch unheilvolleren Anstrich.

Während der erste Band der Reihe rund um Kaiserin Elisabeth eher in die Richtung historischer "cosy Krimi" tendiert, hat mich "Der Kuss des Kaisers" mit seiner deprimierenden Grundstimmung und plakativen Blutrünstigkeit doch etwas überrumpelt. Ich hatte aufgrund des Vorgängers einfach etwas anderes erwartet. Nichtsdestotrotz ist "Der Kuss des Kaisers" ein sehr gut geschriebener und recherchierter historischer Krimi mit einem spannenden Plot. Jeder, der das Wien des Fin de Siècle um 1900 feiert, wird auch diesen Roman sehr mögen.