Der Teufel zieht die Fäden

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
rippchen Avatar

Von


Nein, er ist nicht zu beneiden: Oliver Plötzschs Hauptakteur Doktor Johann Georg Faust, der in Band 1 des historischen Romans „Der Spielmann“ einen Pakt mit dem Teufel einging. In der Fortsetzung „Der Lehrmeister“ bekommt er nun die Folgen dieses diabolischen Bündnisses deutlich zu spüren: Den dadurch erhaltenen Intellekt sowie seine Genialität als Wunderdoktor, Zauberer und Meister „dunkler Künste“ muss er durch den Fluch, der seither auf ihm lastet, teuer bezahlen. Die „dunkle Macht“ in Körper und Seele, die fortan Fausts Persönlichkeit und sein Leben bestimmt, ist die „Mitgift“ seines teuflischen „Lehrmeisters“.

Gott oder Teufel: Schier zerrissen zwischen den beiden Gegenpolen, die einander doch zuweilen so nah zu sein scheinen, charakterisiert Plötzsch seinen „Doktor Faustus“ als rastlosen, getriebenen Menschen: Exzellent, gebildet – und ebenso egozentrisch wie liebenswert.
In diesem Zwiespalt gefangen, wird Faust im „Lehrmeister“ sowohl zum Gejagten als auch zum Jäger. Dabei führen ihn seine Lebensstationen von Deutschland ins französische Loire-Tal und enden mit einem spektakulären Countdown in der „Ewigen Stadt“ Rom.

Eng verbunden mit dem „teuflischen“ Handlungsgerüst, für das Johann Wolfgang von Goethes Faust´sches Historiendrama Pate stand, seziert Plötzsch – ebenso informativ wie unterhaltsam – die politischen und kirchlichen „Scharmützel“ sowie wissenschaftliche, künstlerische und kulturelle Hintergründe im Europa des 16. Jahrhunderts (1518-1521).
Im Fokus von „Böse“ und „Gut“ stehen diesbezüglich Aspekte wie Konkurrenz und Zwietracht, Machtwahn und Geldgier, Korruption und Brutalität, Feindschaften und Kriege, aber auch Rücksichtnahme, Nächstenliebe und „wahre Helden“. Dazu gehört u.a. ein berühmter Zeitgenosse Fausts, dem der Autor im „Lehrmeister“ eine zentrale Rolle zuschreibt.
Ihnen gegenüber stehen, von Plötzsch geschickt in Szene gesetzt, die offen oder verdeckt agierenden Schurken, Verführer und bestialischen Kreaturen, allen voran Fausts (nicht nur) in Menschengestalt agierender teuflischer „Lehrmeister“.

Für die detaillierte Beschreibung seiner Personen und Schauplätze nimmt der Autor eine fesselnde Erzählperspektive ein:
Als personaler, multiperspektivischer „Er“-Erzähler schlüpft er in sämtliche Figuren und erzählt das Geschehen aus deren persönlicher Sicht.
Dadurch eröffnet er dem Leser die Möglichkeit, die Ereignisse aus den unterschiedlichen Blickwinkeln seiner Akteure wahrzunehmen und deren Emotionen bzw. moralische Standpunkte zu erkennen.
Dies wiederum übt erwiesenermaßen eine intensive Wirkung auf den Leser aus, regt zum Nachdenken über die eigenen Standpunkte an – und führt nicht selten zu durchaus überraschenden individuellen Einsichten.
Ein geschickter erzähltechnischer Schachzug, der gelegentlich durch eine allwissende (auktionale) Autorenperspektive ergänzt wird. Der übergeordnete Standpunkt kommt immer dann zum Einsatz, wenn Plötzsch für den Leser einige zum Verständnis notwendige Zusammenhänge der bisherigen Handlung noch einmal zusammenfasst oder – mittels kurzer Rückblenden auf Band 1 – noch einmal gezielte Ereignisse aus Fausts Vergangenheit aufzeigt.
Dadurch wird das Geschehen im „Lehrmeister“ auch für all jene Leser verständlich, die den „Spielmann“ (Band 1) bislang nicht gelesen haben.
Grundsätzlich ist Plötzschs zweiteiliger Erzählzyklus stimmig bis ins Detail. Am Ende lässt er tatsächlich keine Fragen offen: Entweder er klärt sie nur wenige Zeilen oder auch hunderte Seiten später, spätestens jedoch am Ende des „Lehrmeisters“ sowie im übrigens sehr amüsant geschriebenen Nachwort.
Dem fügt er als Bonusmaterial noch einmal ausführlich die Reiseroute seines Hauptakteurs hinzu, inklusive vieler eigener Tipps und Eindrücke, die er während seiner akribischen Recherchen vor Ort sammeln konnte: Ein Geschenk für all jene, die sich nach der Lektüre gern selbst auf die Spuren von Plötzschs Doktor Faustus begeben möchten.

Fazit: Ein absolut fesselnder Lesemarathon über 800 Seiten, bei dem man auf keine einzige Zeile verzichten möchte!
Zahlreiche historische Hintergründe, detailreiche Personen-Charakterisierungen, lebendiger Erzählstil, stets aufs Neue ansteigende Spannungskurven mit zahlreichen Wende- und Höhepunkten sowie letztendlich das teuflische Finale: Damit gehört „Der Lehrmeister“ zu jenen Werken, die viele Lesestunden zu einem unterhaltsamen Erlebnis machen – und im besten Fall völlig verdient auf den Bestsellerlisten landen.
Genau da gehören Sie und Ihr Doktor Faustus hin, Herr Plötzsch!