Der Tragödie letzter Teil

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1518 machte ein wissensdurstiger und belesener Astrologe von sich reden. Der Magier Johann Georg Faustus reiste durch die Lande. Der Ruhm des dunklen, unheimlichen Doktors war so groß, dass ihn bedeutende Könige und Kirchenmänner baten, für sie ein Horoskop zu erstellen. Gemeinsam mit seinem Assistenten Karl und seiner Tochter Greta zog er von Ort zu Ort. Faust wurde schon zu Lebzeiten verehrt und gehasst. Immer öfter hatten die Mächtigen Interesse an seinen Studien. Auch Papst Leo X., der seinerzeit mächtigste und reichste Mann der Welt, wollte hinter das Geheimnis von Faust kommen. Er schickte ihm kurzerhand einen Gesandten hinterher, der ihn nach Rom schaffen sollte. Doch Faust hatte andere Pläne. Er fühlt immer stärker, dass das Böse seine Schwingen nach ihm ausstreckt. Zeitweise hindern ihn Lähmungen seiner Hand an seiner Arbeit. Er spricht dem Theriak zu. Bei seinem Freund und Gelehrten Heinrich Agrippa sucht er Hilfe und hilft nebenbei, die als Hexe angeklagte Josette Corbin vor Gericht zu vertreten. Agrippa schickt Faust anschließend zum größten Genie des Zeitalters: Leonardo da Vinci. Sein Weg führt von Metz nach Amboise, wo der betagte Visionär auf sein Ende wartet. Aber für Faust ist die Reise noch nicht vorüber. Im Gegenteil; die Verfolgungsjagd nimmt jetzt erst richtig Fahrt auf.

Während im ersten Teil der Faustus-Saga die Jugendjahre des Johann Georg Faust beschrieben werden, erleben wir ihn im zweiten Band als reifen Gelehrten. Der eigenwillige Charakter wird auf seiner Reise durch Europa von seinem Assistenten Karl und seiner Tochter Greta begleitet. Er wartet immer noch auf den passenden Moment, ihr die familiäre Verbindung zu erklären. Als sie sich in den rothaarigen Schotten verliebt, kommt es daher zu Spannungen, weil sie sein Verhalten nicht richtig einordnen kann. Fausts innere Zerrissenheit und gleichzeitige Hemmung, seiner Tochter die Wahrheit zu sagen, ist in jeder Zeile spürbar. Sein Charakter wird als rastlos und getrieben beschrieben. Schon Goethe berichtet vom Pakt mit dem Teufel. Oliver Pötzsch verleiht dem Leibhaftigen den Körper von Tonio del Moravia, mit dem Johann bereits in Der Spielmann reiste. Schon im ersten Band versuchte er, dem bösen Einfluss zu entkommen. Im zweiten Teil will sich Johann nun seinem Lehrmeister stellen.

Der Autor führt seine Figuren am wunderschönen Landstrich der Loire entlang bis zur Burg Tiffauges. Dort lebte im 15. Jahrhundert Gilles de Rais, der nachweislich über hundert Kinder misshandelte und tötete. Schon damals schien sich Tonio einen menschlichen Körper zu bemächtigen. Am Fluss der Könige wird allerdings auch über Politik gesprochen. Luthers Thesen haben den Papst verärgert und eine Kaiserwahl stand an. Diese historisch belegten Ereignisse mischen sich mit einer fiktiven Verfolgungsjagd, die die Spannung immer weiter erhöht. Die Kletterei an der Burgmauer oder die schwarzen Messen in den Höhlen sind so bildhaft erzählt, dass man es selbst kaum wagt, genau hin zu gucken. Doch es sind noch viele Seiten übrig, weswegen man wohl noch nicht in Sorge um die Hauptfiguren sein muss, wobei einige unvorhergesehene Wendungen den Ausgang der Geschichte nicht erkennen lassen. Das Finale in Rom kann diese Atemlosigkeit sogar noch steigern. Es qualmt und knallt auch wieder, wie es der junge Faust bereits geliebt hat. Eine neue Laterna Magica kommt zum Einsatz und alles fügt sich perfekt in die Zeit ein.

Der Lehrmeister lässt sich durchaus auch ohne Kenntnis seines Vorgängers lesen. Es ist aber empfehlenswert, die Chronologie einzuhalten. Gemeinsam bilden sie das Leben eines klugen, wissbegierigen und experimentierfreudigen Menschen ab. Er erlag der Versuchung, versuchte zu helfen und konnte nicht über seinen Schatten springen. Das Sinnbild des Ruhmsüchtigen wird hier relativiert. Die Figuren sind facettenreich ausgearbeitet, dass sie lebendig und glaubhaft handeln. Man empfindet Sympathie ebenso wie man ihnen kopfschüttelnd hinterher blickt. Beide Bände kann ich als mein Lesehighlight uneingeschränkt empfehlen.

Oliver Pötzsch lässt uns aber auch an seinen Erfahrungen der Recherche teilhaben. Im Anhang findet man daher Wandertipps in den Gegenden der Schauplätze. Nach 800 Seiten fühlte ich mich sowieso schon mit dem Loiretal bekannt, sodass man hier noch Tipps nachlesen kann, die touristisch noch nicht so erschlossen sind. Auch eine Fahrradtour durch Rom liest sich durchaus nachahmenswert.