Der letzte Schattenschnitzer: ein romantisches Buch!

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Mit der Überschrift ist nicht etwa gemeint, dass dieser Fantasyroman auch nur im Entferntesten etwas mit der Pseudo-Romantik einer schnulzigen Fernsehromanze  zu tun haben könnte. Hier ist die gleichnamige Epoche gemeint und damit die der Düsternis, der Doppelbödigkeit und des Unbelebten, das durch Magie zum Leben erweckt wird. Die Romantiker interessierten sich für die Dinge hinter den Dingen und so auch für Schatten, wie man an der berühmten Geschichte von „Peter Schlehmil“ (die im „Schattenschnitzer“ auch zitiert wird) sehen kann. Diese Thematik, die verschachtelte Geschichte und auch die vielen Perspektiven- und Schauplatzwechsel machen das Buch „romantisch“ und damit extrem gehaltvoll.

Die Geschichte, die erzählt wird, ist so gruselig wie phantastisch: es geht um Schatten als eigene Entitäten, die ihr Dasein zunächst mit dem Menschen zusammen fristen und nach deren Tod eigenständig werden. Es gibt den Limbus, den Ort an dem die Schatten wohnen. Ein Rat der Schattensprecher hat die Aufgabe, das Gleichgewicht zwischen Licht und Schatten zu halten und einen Krieg zwischen Menschen und Schatten zu verhindern. Es gibt also Schatten, die gegen die Menschen kämpfen und sich von ihnen ablösen wollen oder aber, wie im Falle des „Schattensprechers“ Jonas Mandelbrodt, (zunächst) ihre Verbündeten sind: Gut vs. Böse, das alte Lied auch hier neu eingespielt. Madelbrodt ist der Hauptakteur des Buches, um ihn herum wird die Geschichte aufgezogen. Der Junge ist in der Lage mit Schatten zu kommunizieren und ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Diese gefährliche Gabe, die von anderen Schattenmagiern häufig zum Negativen gebraucht wird, bringt ihn bald in die Bredouille: er und seine Familie sind nicht mehr sicher… Dann gibt es noch Carmen Maria Dolores Hidalgo, das „Mädchen ohne Schatten“, das auch von der Schattenwelt instrumentalisiert wird. Jonas erfährt, dass der Rat der Schattensprecher den Tod von Jonas und Maria beschlossen hat, denn sie werden als Anomalien betrachtet und dürfen deshalb nicht weiterleben. Ein(e) Bösewicht(in), der (die) alles daran setzt die Schattenmächte zu beherrschen darf natürlich auch nicht fehlen…

Es vermischt sich in diesem Roman auch Realhistorie mit Fantasy. George Ripley, ein Alchemist aus dem 15. Jahrhundert, hat der heutigen Welt ein gefährliches Erbe hinterlassen: das „Eidolon“. Es gab diesen bedeutenden Alchemisten aus England tatsächlich, das Eidolon ist natürlich eine Zutat des Autors. Auch anderen historischen Figuren wird die Schattenwelt als Grund ihres Untergangs zugeschrieben: Giordano Bruno, Kaspar Hauser etc. sowie zahlreiche Hexenverbrennungen. Auch John Dee, Alechmist der Königin Elizabeth, (der Protagonist aus „Die Gebeine von Avalon“), kommt zwischendurch zu Wort indem immer wieder Passagen aus seinem „Alchimia Umbrarum“ als Zwischentexte eingestreut werden.

Die „Schattenfresser“ erinnern sehr an die „Dementoren“ aus „Harry Potter“, genau wie die Siegel, mit denen die Welt der Schatten geschützt ist an die Horkruxe erinnern. Auch andere Anleihen bei Fantasy-Geschichten sind durchaus zu finden (irgendwie erinnert mich die ganze Atmosphäre ein wenig an den „Schrecksenmeister“ von Walter Moers). Aber das stört ja nicht, denn Autoren haben sich immer überall bedient und Intertextualität ist schließlich ein Wert an sich.

Dass auch aus der Erzählperspektive des Schattens (mit Du-Anrede der Leser) von Jonas Mandelbrodt erzählt wird fand ich bereits in der Leseprobe sehr speziell und durchaus begrüßenswert.

Die Zitate zum Thema Schatten am Beginn jedes Kapitels finde ich sehr anregend und informativ, auch die graphische Gestaltung des Buches sowie des Schutzumschlags lässt bibliophile Herzen höher schlagen. Die Hobbit Presse wird ihrem eigenen Standard hier absolut gerecht (danke auch für das schöne beigelegte Lesezeichen). Ein Abschlusslektorat täte dem Buch aber dennoch gut, immerhin fehlen bei manchen Wörtern die letzten Buchstaben oder es ist einer zuviel.

Christian von Aster erzählt eloquent, geheimnis- und anspruchsvoll, so dass der Leser stets mit voller Konzentration bei der Sache sein sollte. Leider ist der Autor aber letztlich etwas klüger als seine Geschichte, die vielleicht ein wenig zu arabeskenhaft und ambitioniert daherkommt und ihrem eigenen hohen Anspruch in letzter Konsequenz nicht ganz gerecht werden kann. Die Geschichte wird zum Schluss sehr esoterisch, der letzte Teil des Buchs ist recht dicht gewebt, so dass man leicht den Überblick verlieren kann. Ich fand dass es dann zum Ende auch immer pathetischer wurde und das hat mich sehr gestört. Die Auflösung-den Überraschungseffekt-fand ich gut.