Das Lebkuchenhaus im Wald

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jenvo82 Avatar

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„Ich spüre einen Druck in meinem Kopf, als wollte etwas herausplatzen. Ich will sie weiter beruhigen, aber meine Zähne mahlen und machen ein schreckliches knirschendes Geräusch. Gretels grüne Augen flackern auf. Sie weicht zurück, als hätte etwas in meiner Stimme sie erschreckt.“

Inhalt

Die 13-jährige Elissa wird am helllichten Tag von einem Parkplatz entführt, als sie nur mal kurz zum Auto ihrer Mutter lief, die währenddessen drinnen beim Schachturnier auf ihre Tochter wartete. Wenig später sind alle alarmiert und eine Großfahndung nach dem jungen Mädchen ist angelaufen, denn gerade die ersten Stunden nach einer Entführung können die entscheidenden sein. Und trotz der Tatsache, dass es Zeugen gibt und die Fahndung nach einem verbeulten, weißen Lieferwagen initiiert wurde, tappt die Polizei im Dunkeln.

Elissa hingegen, muss sich in ihrer neuen Umgebung zurechtfinden – ein dunkles, kaltes Kellerloch, in dem sie der Willkür ihres Entführers ausgesetzt ist und in Handschellen ihr Dasein fristet. Doch als sie Besuch von Elijah erhält, der anscheinend selbst ein verstörtes Kind ist, vielleicht sogar der Sohn des Entführers wittert die schlaue Elissa ihre Chance: wenn es ihr gelingt, den Jungen auf ihre Seite zu ziehen, gibt es vielleicht die Möglichkeit zur Flucht. Aber bei jedem Treffen spürt sie, dass Elijah kein normaler Junge sein kann, sein Verhalten ist unberechenbar und die Geschichten, die er erzählt, offenbaren ihr, dass sie längst nicht die erste ist, die hier gefangen gehalten wird. Und noch während sie herausfinden möchte, ob sie dem sonderbaren Jungen vertrauen kann, spitzt sich ihre Situation dramatisch zu und es bleibt nur wenig Zeit, der unterirdischen Hölle zu entkommen …

Meinung

Bei diesem Buch hat mich zunächst das Cover, der Klappentext und die Leseprobe fasziniert und ich wollte unbedingt wissen, wie es der armen, entführten Elissa eingesperrt in einem Keller unter der Erde wohl ergehen wird und wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sie in diesem dunklen Verlies mitten im Mädchenwald gelandet ist. Entführungsfälle bei Kindern, die als Grundlage eines spannenden Thrillers dienen, reizen mich immer besonders, sind sie doch geprägt von einer gewissen Ausweglosigkeit und manchmal auch begleitet durch unvorhergesehene, glückliche Zufälle – während ich im realen Leben diesen Umstand wohl kaum ertragen könnte …

Der englische Autor Sam Lloyd, aufgewachsen im englischen Hampshire fängt in seinem Thrillerdebüt den Reiz einer abgelegenen Gegend, umgeben von dichten Wäldern und Einsamkeit hervorragend ein, denn sowohl die beschriebenen Szenen als auch die Bilder, die sich der Leser während des Buches vorstellt, sind lebensecht und versetzen uns mitten hinein in die erschaffene Welt des Buches.

Besonders gut gefallen hat mir der psychologische Aspekt der Geschichte: zwei Kinder gefangen in einem Haus, eins ist das hilflose Opfer, das andere möglicherweise ein gefährliches, zumindest aber undurchschaubares Subjekt – beide möchten, die erzwungene Zwangslage beenden und gleichzeitig ihr Leben behalten. Seltsamerweise scheint nur eine dieser beiden Möglichkeiten erreichbar.

Die Bedrückung und Angst aber auch die Hoffnungsschimmer werden besonders gut sichtbar, weil der Autor jeweils verschiedene Erzählperspektiven wählt, die sich abwechseln und für den Leser mit Fortschreiten des Buches immer neue Erkenntnisse bieten. Zu Wort kommt der sonderbare Elijah, die verzweifelte Elissa und die engagierte Polizistin Máiread MacCullagh – sie alle haben nur ein Ziel – raus aus der Hölle, hinein in ein normales Leben.

Ein paar kleine Kritikpunkte habe ich trotzdem: das Spannungsniveau hätte noch etwas höher sein können, dazu wäre vielleicht nur eine Straffung des Textes notwendig gewesen (100 Seiten weniger hätten auch gereicht). Die Täterperspektive, die zwar einige Wendungen bereithält, hätte noch eindringlicher und schwerpunktmäßiger erzählt werden können, während man im Gegenzug die drohende Fehlgeburt der Ermittlerin hätte streichen können, weil sie für das Buch keine Relevanz besitzt. Ebenso interessant wäre ein Blick in den Kopf der Mutter gewesen, die als Alleinerziehende nun der Tatsache ins Auge sehen muss, dass sie ihre geliebte Tochter an einen Mörder verliert, der ohne Rücksicht auf Verluste ihre Kleinstfamilie zerstören wird.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen interessanten Thriller mit der Thematik Kindesentführung, der mehr durch seine psychologischen Feinheiten als durch Action und Spannungsmomente überzeugen kann. Insgesamt ein solider, unterhaltsamer Roman, der nach und nach die Schrecken offenbart, die den Menschen hier widerfahren – empfehlenswert vor allem auf Grund der düsteren, beklemmenden Szenen, der kurzen informativen Lichtblicke und der emotionalen Hintergründe, die sich auf traumatisierte Kinder und deren Entwicklung stützen. Ich würde gerne noch ein weiteres Buch des Autors kennenlernen und behalte ihn im Auge.