Düster und rätselhaft

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gluexklaus Avatar

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Die dreizehnjährige Elissa ist eine begabte Schachspielerin. Während eines Schachturniers wird sie entführt und in einen dunklen Keller gesperrt. Eines Tages entdeckt Elijah ihr Gefängnis und besucht sie von nun an regelmäßig, aber heimlich, niemand sonst weiß Bescheid. Elissa wird von der Polizei gesucht, die noch ziemlich im Dunkeln tappt. Gleichzeitig versucht Elissa, sich selbst zu befreien und zu fliehen. Ob sie auf Elijahs Unterstützung bauen kann?

Autor Sam Lloyd schreibt verständlich und flüssig aus drei Perspektiven, aus Elissas, Elijahs und der der ermittelnden Polizistin Detective Superintendent Mairéad MacCullagh. Je mehr die Figuren erzählen, desto komplexer und „verstrickter“ wird der Fall.

Für die allesamt „tragischen“ Figuren im Roman „Der Mädchenwald“ empfand ich großes Mitleid. Polizistin Mairéad muss private Schicksalsschläge verarbeiten und ist nun mit diesem Entführungsfall beauftragt, der starke Nerven fordert. Elijah ist in völliger Isolierung aufgewachsen, kennt weder Internet noch Handys, er hat keine Ahnung von der realen Welt. Wie er mit dem Wissen um Elissa und ihren Aufenthaltsort verfahren soll, weiß er genauso wenig. Elissa selbst schwebt in tödlicher Gefahr. Was haben die Entführer vor? Das Mädchen ist hochintelligent, schmiedet detaillierte, durchdachte Pläne für ihre Flucht, sie gibt nicht auf. Aber reicht das, um ihr Leben zu retten? Was bedeutet die Beziehung von Elijah und Elissa für die weitere Handlung? Und welche Rolle spielt die mysteriöse Zauber-Annie aus der Schrottstadt?

Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, in das Geschehen hineinzufinden. Es herrscht eine dunkle, deprimierende Grundstimmung. Mir fiel es schwer, die Situation der einzelnen Figuren genau einzuschätzen. Immer mehr Geheimnisse kommen im Verlauf des Romans ans Tageslicht, gleichzeitig wurde für mich trotzdem alles immer verworrener. Ich tappte noch mehr im Dunkeln. Ab der Mitte entwickelte der Plot Anziehungskraft. Ich wollte unbedingt wissen, wie alles zusammenhängt. Vieles wird am Schluss klarer, aber einige Rätsel behält der „Mädchenwald“ noch für sich.
„Der Mädchenwald“ spielt nach anfänglichen Längen gekonnt mit den Erwartungen der Leser. Wie in „Hänsel und Gretel“, auf das im Buch immer wieder angespielt wird, wirft der Autor seinen Lesern Brotkrumen hin, auf dass sie einen Weg aus dem Handlungswirrwarr finden. Aber wie im Märchen irren die Leser noch tiefer in den Sümpfen und Abgründen des „Mädchenwalds“ herum. Was ist überhaupt noch wahr und wirklich? Was findet nur in den Köpfen der Figuren statt?
„Der Mädchenwald“ ist ein komplex konstruierter, düsterer Roman. Schwer einzuordnen, aber durchaus interessant zu lesen. Weit entfernt von heiler Welt, eher die Hölle auf Erden, aber ein faszinierendes, geheimnisvolles literarisches Experiment, das herausfordert. Wer sich gerne überraschen lässt und mit Unausgesprochenem umgehen kann, dem sei dieser Roman empfohlen.