Dänemark-Feeling

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fraedherike Avatar

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„Die Menschen machen die seltsamsten und auch die schrecklichsten Sachen, wenn sie gute Absichten haben.“ (S. 145)

Prometheus muss weg, weg von zu Hause, weg von all den enttäuschten Gesichtern, nur vor ihm selbst kann er nicht flüchten, kann das, was geschehen ist, nicht rückgängig machen. Auf seiner überstürzten Flucht strandet er in Dänemark, völlig am Ende und ohne Hoffnung. Als diese sich dann aber in Form von zwei älteren Frauen, Helle und Aslaug, vor seinen Augen manifestiert, tut sich so etwas wie eine zweite Chance für ihn auf. Geborgen und unter den wachsamen Augen zahlreicher Islandponys hat Prometheus einen Raum erhalten, nachzudenken, das Geschehen zu verarbeiten und offen zu sich und dem, was er getan hat, zu stehen – und um Vergebung zu bitten.

„Wie es ist, sterben zu müssen, weiß man erst, wenn man die Worte hört und selbst damit gemeint ist.“ (S. 197)

In ihrem neuen Roman „Der Mauersegler“ bettet Jasmin Schreiber mit herzerwärmend beruhigender Sprache eines der schlimmsten Schicksale, das einem Menschen passieren kann, in eine berührende, nachdenklich stimmende Geschichte ein. Umgeben von Flora, Fauna und Fohlen, als studierter Biologin ihrem Steckenpferd, entspinnt Schreiber eine komplexe Geschichte voller Dilemmata, Schuld und Hoffnungslosigkeit, und zeigt auf, wie wichtig es ist, in solchen Situationen jemanden, vielleicht sogar wen völlig Fremdes, an seiner Seite zu haben. Mir hat gefallen, dass der Protagonist nicht der klassische Held ist, viel eher eine dunkle, feige Seite hat, vor der Verantwortung flieht und vom Schicksal und seinem allmählich zutage tretenden Verständnis übermannt wird. Doch er ist nicht bloß Täter, sondern zugleich auch Opfer, gebeutelt vom Verlust eines wichtigen Teils seines Lebens.

Der Aufbau der Erzählung mit Rückblenden in die Kindheit, in die nahe Vergangenheit, und das sukzessive Aufrollen des Geschehenen hat mir gut gefallen, ebenso wie die Bandbreite unterschiedlichster Charaktere und Ethnien, die allerdings teilweise ein wenig überzeichnet sind. Die Sprache ist wie eine warme Umarmung, bildreich und detailliert beschreiben, wenn auch an manchen Stellen eher schlicht ausformuliert.
Der subtile, nahbare Umgang mit dem drohenden Tod, dem Sterben ist etwas, das Jasmin Schreiber – wie bereits mehrfach bewiesen – grandios beherrscht, und so schwankte ich oftmals zwischen Schniefen und Ein-, Ausatmen, Augen schließen. Ein kleines Schmunzeln hat mir dann aber der beiläufige Auftritt Paulas, der Protagonistin aus Schreibers Debütroman „Mariannengraben“ beschert, die einen Zwischenstopp auf dem Hof von Helle und Aslaug machte, um ihre Mission „Meer“ zu erfüllen, ebenso wie die eingestreuten Betrachtungen der Natur, der Schnecken, des Meeres. Und nicht zuletzt die Bedeutung der Metapher des Mauerseglers, den Prometheus verkörpert: Immer in der Luft, fliegend und stark, doch einmal den Boden berührt, ist ein Neustart schwierig.