Ein eindrucksvoller Roman über Trauer, Schuld und Hoffnung.

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"Der Mauersegler" ist der zweite Roman von Jasmin Schreiber, die mich bereits mit "Marianengraben" begeistern konnte. Ebenso wie in ihrem Debütroman erzählt die Autorin auch in "Der Mauersegler" von Tod und Trauer – und von Hoffnung. Doch die Geschichte ist eine ganz andere…

Auf der Flucht
Der Leser folgt dem Arzt Prometheus, der eine schwere Schuld auf sich geladen hat und auf der Flucht in Dänemark strandet. Ein älteres Paar nimmt ihn auf und dort, auf einem Ponyhof im Nirgendwo, sucht Prometheus nach Vergebung und Trost. Trost, weil sein bester Freund Jakob tot ist, und er ihn nicht retten konnte.

Wie schon in "Marianengraben" schreibt Jasmin Schreiber über die großen Themen der Menschheit, wie z. B. Schuld und Vergebung und schafft dabei auch glaubwürdige Charaktere. Prometheus‘ Verzweiflung ob seiner Taten ist stets spürbar; seine Zusammenbrüche glaubhaft. Seine Trauer ist ebenso dreckig wie seine Verzweiflung, Rotz rinnt ihm aus der Nase, er suhlt sich wortwörtlich im Dreck. Prometheus leidet und der Leser mit ihm.

Freud und Leid
Während Prometheus um sich selbst und gegen die Verzweiflung kämpft, gehen seine Gedanken immer wieder zurück in die Vergangenheit. Glückliche Tage mit Jakob, die Erkenntnis, wie sehr er seinen Freund geliebt hat, dann wieder der große Verlust. Prometheus auf diesem Weg zu begleiten ist sehr schmerzhaft. Zum Glück gibt es zwischendurch immer wieder Lichtblicke.

"Der Mond schaut nun hinter den Wolken hervor, und das von ihm reflektierte und in abgeschwächter Form auf die Erde geschickte Sonnenlicht reichte, um die Landschaft besser zu erkennen. Das Kerzenlicht des Weltraums." (Seite 28)

Glaubwürdige Charaktere sind auch Aslaug und Helle, die beiden Frauen, bei denen Prometheus unterkommt. Beide leben zurückgezogen und bewirtschaften ihren Hof alleine. Sie brauen alkoholische Getränke, holen sich mittels eines Pferdes Holz aus dem Wald und halten die Tradition alter Feste wie Samhain hoch. Die beiden erinnern mich ein wenig an Hexen aus einem alten Märchen. Und hier auf dem Hof geschieht auch das Einzige, was mir an "Der Mauersegler" nicht so gefallen hat, nämlich Aslaugs Geschichte. Die war mir einfach zu grausam.

Doch apropos märchenhaft: Es gibt noch einige andere Stellen in "Der Mauersegler", die mich an Märchen erinnern. So legt Jasmin Schreiber auch Tieren und Bäumen Worte in den Mund. Die Tiere wundern sich z. B. über den Mann, der so oft in ihrer Mitte weint. Das klingt witzig, liest sich aber allenfalls poetisch und nicht kindisch.

Wunderschöne Sprache
Ach ja, die Sprache. Jasmin Schreiber findet bis zum Ende immer passende Worte für das Geschehen. Ein Satz ist nicht nur ein Satz, er sagt so viel mehr. Damit hat mich die Autorin jedes Mal aufs Neue begeistert.

"Die Farben des Herbstes mag ich mehr als die des Sommers, der Sommer ist mir einfach zu laut in den Augen." (Seite 63)

Gerade durch solche Sätze wird klar, dass "Der Mauersegler" ein Buch ist, das man auf sich wirken lassen sollte. Es ist kein Roman für Menschen, die ständig Action brauchen, sondern für solche, die sich an schönen Sätzen erfreuen können. Womit nicht gesagt sein soll, dass das Buch keine Spannung bietet. Im Gegenteil: Obwohl wir von Anfang an wissen, dass etwas Schlimmes passiert ist, wissen wir nicht, was genau passiert bzw. wie es dazu gekommen ist. Prometheus gibt sein Wissen nur langsam preis.

Ein Herzensmoment
Ein kleines Highlight war, dass auf einmal Marianengraben die Geschichte kreuzt. Wer das Buch gelesen hat, wird sich über diese kleine Szene sicherlich genauso freuen wie ich. Ein kleiner Herzensmoment.

Fazit
Ein eindrucksvoller Roman über Trauer, Schuld und Hoffnung. Große Themen, von Jasmin Schreiber in wundervollen Worten dargeboten. Für Menschen, die "Marianengraben" mochten – und alle anderen.