Vom Fliegen und Fallen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
medsidestories Avatar

Von


Inhalt:
Prometheus ist Arzt. Eben noch hatte er eine vielversprechende Karriere in der klinischen Forschung vor sich, nun befindet er sich auf der Flucht. Auf der Flucht vor dem Leben und der Polizei. Prometheus hat nämlich einen schrecklichen Fehler begangen. Es handelt sich nicht etwa um einen versehentlichen Fehler aus Fahrlässigkeit oder Schlampigkeit. Nein, es ist viel schlimmer. Prometheus hat etwas Verbotenes getan und damit sich selbst, seinen allerbesten Freund Jakob und zahlreiche weitere Menschen ins Unglück gestürzt. Aber wohin soll man gehen, wenn man alles verloren hat? Irgendwann strandet er in Dänemark, auf dem abgeschiedenen Reiterhof von Aslaug und Helle, die ihre ganz eigenen Geheimnisse in sich tragen.

Meine Meinung:
Prometheus. Allein der Name des Protagonisten ist eine Ansage. Man weiß sofort mit welchem Klischee hier gespielt wird. Der Arzt als Halbgott in Weiß. Ich gebe zu, ich hatte anfangs Bauchschmerzen diesbezüglich. Hoffentlich, dachte ich, wird da nicht bloß eine Geschichte erzählt vom arroganten Arschloch-Arzt, der unsauber arbeitet und so seine Patienten gefährdet. Das wird es nicht! Ganz im Gegenteil. Mit Klischees ist es ja so, dass sie in den meisten Fällen einen wahren Kern haben. Prometheus ist arrogant, karrierebesessen, gerne rücksichtslos. Er fährt ein dickes Auto und strebt stetig nach mehr. Mehr Status, mehr Erfolg, mehr Anerkennung. Und ja, solche Leute gibt es dann und wann in der Medizin. Wenn ein Buch aber von Menschen erzählt, die einem bestimmten Klischee entsprechen, dann muss es das tun, ohne dabei tatsächlich ins Klischeehafte abzudriften. Und das gelingt Jasmin Schreiber so so unfassbar gut!
Ich habe in der Vergangenheit manchmal davon geschrieben, dass ich gerne ambivalente Protagonist*innen lese und entsprechende Bücher dann doch nicht wirklich gemocht. Das liegt daran, dass in vielen Fällen diese Figuren unsympathisch und unnahbar bleiben. Hier ist das nicht so. Ich mochte Prometheus, obwohl er einen scheinbar so unverzeihlichen Fehler begeht. Ich konnte nachvollziehen, vielleicht sogar ein Stück nachempfinden, warum er in einer Situation, die von größtem privatem und beruflichem Druck geprägt ist, so handelt, wie er es tut. Dabei hat die Autorin für ihre Geschichte den schwersten Weg gewählt, den man sich ausdenken kann. Manchmal neigen Bücher dazu, Dinge, die eigentlich moralisch absolut in Ordnung sind, aufzublähen, um sie den Leser*innen als großes, aber am Ende doch leicht auflösbares Problem zu präsentieren. In „Der Mauersegler“ ist nichts leicht auflösbar, hier scheint alles verloren und dementsprechend am Boden zerstört ist Prometheus auch. Das Geniale dabei ist, dass Jasmin Schreiber es schafft, diese Katastrophe, in der jemand alles alles verloren hat (und das gewissermaßen zu Recht), mit so viel Hoffnung zu erzählen, dass es mir zwischen all dem Schmerz, manchmal ganz warm um’s Herz geworden ist. Besonders gut gefallen haben mir die plastischen Naturbeschreibungen. Diese spezielle Art mit Worten die Seele der Umwelt darzustellen, hat all das, was Prometheus getan hat und was ihm widerfahren ist, irgendwie in Relation gesetzt und dabei angedeutet, wie klein der Mensch und alles Menschgemachte im Vergleich zum Großen Ganzen eigentlich ist. Das habe ich als ungemein tröstlich empfunden. Genauso wie Helle und Aslaug, diese eigensinnigen, urteilsfreien Frauen, die so eng mit der Natur verbunden sind, einen sehr tröstlichen Gegenpart zu Prometheus’ Vergangenheit dargestellt haben. Tröstlich. Wenn ich mich für ein Wort entscheiden müsste, das dieses Buch beschreiben soll, dann wäre es wohl dieses. „Der Mauersegler“ erzählt ohne abzustempeln und anzuklagen von einem Menschen, der große Schuld auf sich geladen hat. Vor allem aber handelt es sich um eine Geschichte voller Zuversicht und Hoffnung darauf, dass es immer immer wieder ein Morgen gibt - neue Menschen und einen neuen Himmel - und dass es sich lohnt dieses Morgen zu leben, auch wenn es anders ist, auch wenn es wehtut.

Fazit:
„Der Mauersegler“ ist eine wundervolle Geschichte, die von nun an einen sehr besonderen Platz in meinem Bücherherzen (und in meinem Medizinherzen!) bewohnt.