Außergewöhnlich mittelmäßig

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Zum Inhalt:

Das Buch agiert auf mehreren Zeitebenen und changiert insbesondere zwischen der gegenwärtigen Handlung im Jahr 2011 und den Rückblenden in die Vergangenheit (1902, 1910).

Die Handlung der Gegenwart: Lilly Kaiser, Ende 30 und durch den Krebstod ihres Mannes Peter früh Witwe geworden, ist Antiquitätenhändlerin in Berlin mit eigenem Laden. Eines kalten Wintertages kommt ein Fremder in den saisonal gerade wenig besuchten Laden und legt ihr einen Geigenkoffer auf den Tisch der angeblich ihr gehöre. Er versichert sich ihrer Identität, will keine Bezahlung für die Geige und verschwindet ohne viele Erklärungen. Die Geige ist mit einem ungewöhnlichen Rosenornament versehen, das Lilly seltsam vorkommt. Außerdem enthält der Geigenkasten ein Musikstück namens „Der Mondscheingarten“, allerdings ohne Angabe des Komponisten. Eine mysteriöse Geige also! Wie gut dass ihre in London lebende Freundin Ellen Morris (gebürtige Hamburgerin wie Lilly, die mit einem Engländer verheiratet ist) ausgerechnet Expertin für alte Musikinstrumente ist! Sie ruft sie an und schlägt ihr vor sich die Geige anzusehen. Lilly reist nach London und lernt auf dem Flug den attraktiven Musiklehrer Gabriel Thornton kennen, der ihr in der Zukunft und in puncto Geige noch behilflich sein wird. In London führt sie die Spur der Geige zu zwei ihrer Vorbesitzerinnen: Rose Galway und Helen Carter. Was hat es mit der Geige und der Geschichte der Frauen auf sich? Ihre weitere Recherchereise führt sie nicht nur weiter in die Violinenstadt Cremona, Italien, sondern auch nach Sumatra, Südostasien und in ihre eigne, ganz persönliche Vergangenheit.
In der Vergangenheit lernen wir im London der Jahrhundertwende um 1900 Rose Galway kennen, eine gefeierte Stargeigerin. Als sie auf Konzertreise in ihrer mütterlichen Heimat Sumatra ist (Rose ist zur einen Hälfte Engländerin, zur anderen Hälfte eine Minangkabau, ein Volksstamm in dem die mütterliche Linie und das Matriarchat noch vorherrschend sind). Auf Sumatra lernt sie den englischen Kaufmann Lord Paul Heavenden kennen und verliebt sich in ihn, der allerdings bereits mit einer anderen verlobt ist…

„Der Mondscheingarten“ ist von seinem Erzählaufbau her ähnlich angestaubt wie der Geigenkoffer, in dem Lilly Kaiser in ihrem Berliner Antiquitätenladen die Geige von Rose Galway überreicht bekommt. Jemand in der Gegenwart findet einen alten Gegenstand (gerne auch ein Buch oder die üblichen Briefe mit Samtschleife), der natürlich geheimnisumwoben ist; dieser jemand recherchiert alles, was es über dieses Artefakt (warum ist es nur so besonders?) zu wissen gibt und reist deswegen in ferne/fremde Länder und natürlich auch immer in die eigene Vergangenheit – denn es ist erzähltechnisch ja kein Zufall dass genau diese Person das geheimnisvolle Artefakt findet. Nebenbei findet sich auch meistens die große Liebe, denn der/die GeheimnissucherIn ist natürlich ein etwas vereinsamter Single (meist mit tragischem Verlust eines früheren Partners oder anderen Verletzungen) und irgendjemand mit einem Spezialwissen zu dem Gegenstand hilft ihr nicht nur dessen Vergangenheit aufzuklären sondern ist meistens auch besonders attraktiv und sympathisch…
Was soll ich sagen außer: alles schon mal dagewesen und in Antonia S. Byatts „Posession“ literarisch um einiges reizvoller aufbereitet. Aber es wäre nicht gerecht einen Roman dieser Qualität mit dem „Mondscheingarten“ zu vergleichen, der sicher mehr unterhalten als durch seine literarische Raffinesse überzeugen will. Aber auch ein Jugendroman nach dem gleichen Schema („Revolution“/"Das Blut der Lilie" von Jenniffer Donelly) hat mich da um einiges mehr überzeugt. Dort wurde man mehr mitgenommen von der Geschichte und dem Schema F wurde durch eine differenzierte Erzähltechnik ein einzigartiger Charakter verliehen.

Ich muss sagen ich war nicht sonderlich überrascht als sich im „Mondscheingarten“ die Beziehung zwischen den Vorbesitzerinnen der Geige (Rose Galway und Helen Carter) und ihrer gegenwärtigen Besitzerin als so erwiesen hat wie es sich im Roman herausstellt. Ich hab eher gedacht: das kann doch nicht sein dass es tatsächlich so ist, wie langweilig! Auch Lilly Kaiser als gegenwärtige Hauptfigur erschien mir ziemlich oberflächlich und stromlinienförmig charakterisiert. Dass dann mit Gabriel auch noch so ein „offensichtliches“- männliches Pendant (ein „larger-than-life“-Kerl) dazukam, hatte – ich muss es leider sagen – Groschenromancharakter (leider hat der ein oder andere Groschenroman aber auch noch mehr pep!)
Die Charaktere in der Vergangenheit hatten etwas mehr Tiefgang, was die historische Erzählung gegenüber der Gegenwartshandlung aufgewertet hat. Die ganze Handlung ist allerdings zu steif und wirkt übermäßig konstruiert.
Nun gut, aber der Roman – so viele finden ihn ja toll – muss doch irgendetwas haben was ihn besonders macht, so besonders wie den „Mondscheingarten“ in Padang, Sumatra, Indonesien…
Leider habe ich es nicht gefunden. Ja klar, es geht um Frauenschicksale in der Vergangenheit, um Künstlerinnen, das ist an sich ein ehrenwertes Thema und man lernt etwas über ein Land, das einem – wenn man nicht gerade Südostasienexperte ist – ziemlich fremd und exotisch vorkommt. Das Thema Matriarchat wird auf den Plan gebracht, was mir auch gut gefallen hat: alles wird von einer weiblichen Linie definiert. Alles wunderbar und auch ganz lesens- bzw. hörenswert, aber das gewisse Etwas, das diesen Roman zu einem einzigartigen Wow-Erlebnis hätte machen können, hat mir persönlich gefehlt. Das heißt jetzt aber nicht dass der Roman schlecht ist: die Autorin kann durchaus erzählen und einen Spannungsbogen aufbauen, allerdings hat dieser meinen Erwartungen nicht entsprochen und mich durch eine gewisse Vorhersehbarkeit enttäuscht.

Ich habe den Roman als Hörbuch erhalten. Die Stimme der Vorleserin war ganz angenehm. Die Qualität der Hörbuch-CDs ist einwandfrei.