Absolut fantastisch!

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Der Nachtzirkus hat mich völlig überrumpelt! Ewig lange stand er auf meiner Wunschliste, bevor ich ihn eines Tages aus der Buchhandlung mitgenommen habe. Dann vergingen wieder Wochen, bis ich endlich zu lesen begann. Und dann konnte ich gar nicht mehr aufhören, denn die Geschichte rund um die Zauberer Celia und Marco hat mich nicht mehr losgelassen.

Zunächst möchte ich erwähnen, dass der Einstieg nicht besonders einfach war. Es gibt verschiedene Kapitelarten, die sich in ihrer Zeit, ihren Orten und Protagonisten und ihrer Erzählweise stark unterscheiden. Bis man das komplett verstanden hat, dauert es ein wenig. Zunächst steigt der Leser im Jahr 1873 ein. Die kleine Celia Bowen lebt von da an bei ihrem Vater, dem großen Zauberkünstler Prospero. Dieser packt die Gelegenheit am Schopf, bildet Celia aus und schließt gleich noch eine Wette mit seinem Erzfeind Alexander ab: Es ist eine Wette, welche über Leben und Tod entscheiden wird, denn nur ein Lehrling der beiden Zauberer wird den großen Wettstreit letztendlich gewinnen, welcher über die nächsten Jahrzehnte hinweg ausgetragen werden wird. Alexander sucht sich zu diesem Zweck ebenfalls einen Lehrling und stößt auf das Waisenkind Marco. Von nun an gibt es schon mal zwei Orte beziehungsweise Personen, welche der Leser verfolgen muss.

Der zweite Erzählstrang beginnt 1897 und dreht sich um den Farmerjungen Bailey in Massachusetts. Er wird eine große Bedeutung für den Zirkus haben und der Leser trifft ihn bei seinem ersten Zusammenstoß mit dem Zirkus an. Das war zunächst etwas verwirrend. Die Kapitel springen zwischen zwei Zeiten hin und her, wobei diese sich immer mehr annähern und sich schließlich gekonnt verknüpfen.

Zusätzlich zu diesen Zeitsprüngen gibt es auch noch Kapitel in der Gegenwart, in welcher der Leser sehr direkt mit einem "Du" angesprochen wird. In diesen eher kurzen Kapiteln werden Details und Zelte des Zirkus besprochen und man fühlt sich so, als wäre man wirklich mittendrin und würde dem sogenannten Zirkus der Träume einen Besuch abstatten.

Blickt man erst einmal durch diesen Aufbau, kann man den Roman nur noch genießen. Erin Morgenstern hat eine wahrlich fantastische Szenerie erschaffen und beschreibt die Einzelheiten des Zirkus mit einer solchen Liebe zum Detail, dass ich mir jedes Zelt sehr gut vorstellen konnte. Obwohl ich den Zirkus nie selbst besucht habe, kommt es mir nach Lesen des Buches trotzdem so vor. Ich erinnere mich lebhaft an die Vorstellungen und die statischen Attraktionen, wie zum Beispiel den Eisgarten, ein Labyrinth und die pompöse Uhr des Zirkus, obwohl ich sie nie gesehen oder erlebt, sondern nur in meinem Kopf darüber fantasiert habe. Das hat mich total umgehauen und großen Spaß gemacht! Ich fand es spannend dem Zirkus beim Wachsen zuzusehen, hinter die Kulissen schauen zu dürfen und mich in den schwarz-weißen Zelten zu verlieren.

Obwohl der Zirkus allein schon absolut fantastisch ist, ist er noch so viel mehr als ein Zirkus. Er wurde als Schauplatz des großen Zauberwettstreits ausgewählt, der zwischen Celia und Marco über Jahre hinweg bestehen wird. Es ist kein actionreicher Wettkampf, sondern eher ein leiser Wettkampf. Celia und Marco erschaffen Zelte, verknüpfen das Weltliche mit dem Magischen und ermöglichen den Zirkusbesuchern (inklusive dem Leser) somit viele träumerische Momente. Das fand ich sehr schön, denn es geht bei dem Wettstreit nicht darum sich gegenseitig in die Pfanne zu hauen und zu verletzen, sondern einzig und allein um Fairness, Talent und Können. Realität und Magie verschmelzen und machen es dem Leser sehr einfach, sich komplett in die Welt des Nachtzirkus entführen zu lassen.

Die Charakter haben mich insgesamt auch überzeugen können. Obwohl viele verschiedene Persönlichkeiten zusammenkamen, empfand ich den gegenseitigen Respekt (der vielleicht auch der Spielzeit des Romans geschuldet ist) als äußerst angenehm. Ich habe wahrlich nicht alle Charakter ins Herz geschlossen, doch trotzdem fand ich sie gut platziert, notwendig und würde sie nicht streichen, wenn ich könnte. Die Beziehungen waren gut ausgearbeitet, entwickelten sich nicht zu schnell und nicht zu langsam und auch Liebesbeziehungen schoben sich nicht in den Vordergrund, wie der Klappentext vielleicht vermuten lässt. Zum Schluss wird außerdem noch dargestellt, warum diese Rivalität zwischen den Zauberern besteht und warum sie den Wettstreit nicht einfach selbst austragen können. Was die Charakter angeht, ist in meinen Augen auch alles gut durchdacht und abgerundet.

Noch mehr schwärmen könnte ich über den Schreibstil und die Lebendigkeit. Wie oben schon erwähnt, habe ich das Gefühl, den Zirkus gut zu kennen und mehrfach besucht zu haben. Ich habe mich nicht nur in den Zirkus gut einfinden können, sondern in die gesamte Zeit. Der Roman beginnt im Jahr 1873 und endet 1903 (beziehungsweise heute, wenn man die direkt ansprechenden Kapitel dazu nimmt). Normalerweise lese ich selten Literatur, die sich mit der Zeit von vor mehr als 100 Jahren beschäftigt. Trotz allem hatte ich keine Probleme mir Kostüme, Bauwerke oder Inneneinrichtungen vorzustellen. Erin Morgenstern hat alle notwendigen Details abgedeckt und in meinen Augen umwerfend dargestellt.

Fazit:
Ein absolut fantastischer Roman, der nun zu meinen Lieblingsbüchern zählt. Ich habe mich Stunden im Zirkus der Träume verlieren können und bin richtig traurig, dass ich nach diesem Buch nichts mehr von ihm hören werde. Sowohl Idee als auch Umsetzung haben mich umgehauen, die Charakter haben gestimmt und die gesamte Atmosphäre war einfach zauberhaft. Volle 5 Sterne für dieses Meisterwerk, denn ich habe mich wahrlich in den Nachtzirkus und all seine Details verliebt!