Eine Liebesgeschichte in Grautönen

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naraya Avatar

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 “Der Nachtzirkus” ist der Debütroman der Amerikanerin Erin Morgenstern. Das Buch stand monatelang auf der Bestsellerliste; eine Verfilmung ist bereits in Vorbereitung.

 

Handlung:

 

Eines Tages erhält der Zauberer Prospero unerwartete Post: einen Brief der kürzlich verstorbenen Mutter seiner einzigen Tochter, geheftet an den Mantel der 6-Jährigen. Fortan lebt die kleine Celia also bei ihrem gefühllosen Vater, der sich nur aus einem einzigen Grund für das Mädchen interessiert. Denn Celia hat die magischen Kräfte ihres Vaters geerbt. Von den Fähigkeiten seiner Tochter überzeugt, lässt sich Prospero mit seinem Erzfeind, seinem Zaubererkollegen Alexander, auf eine Wette ein. Jeder der beiden Männer schickt seinen Schützling ins Rennen. Das Kind mit den größeren magischen Fähigkeiten soll der Sieger sein, der Verlierer hat sein Leben verwirkt. Doch Prospero und Alexander haben mit einem nicht gerechnet: der zarten Liebe, die sich über die Jahre hinweg zwischen Celia und Alexanders Schützling Marco entwickelt. Werden die beiden Liebenden einen Ausweg aus dem Wettstreit ihrer “Väter” finden?

 

Eigene Meinung:

 

Wenn man über den “Nachtzirkus” schreibt, muss man als allererstes einfach auf die Gestaltung eingehen, denn es ist wirklich eines der schönsten Bücher, das ich in den letzten Monaten, wenn nicht Jahren gesehen habe. Der Umschlag des Romans ist schwarz und auf dem Cover ist der Zirkus mit seinen schwarz-weißen Zelten und der großen Uhr am Eingang zu sehen. Zwischen den Zelten hindurch ranken sich rote Bänder wie Flammen und eine Frauenhand hält den Zirkus vorsichtig auf ihrer Handfläche. Auch nach dem Abnehmen des Umschlags wird die Gestaltung noch fortgeführt. In den vorderen Buchdeckel ist die Silhouette des Zirkus’ eingestanzt und die Innenseiten des Einbanddeckels sind eben so schwarz-weiß gestreift wie die Zeltbahnen. Deshalb und aufgrund der eingeschobenen Zwischenkapitel, die sich durch ihren Satz deutlich von der eigentlich Handlung abheben (die Handlung ist im Block gesetzt, die Einschübe im Flattersatz) und den Leser direkt ansprechen, hat man das Gefühl, sich direkt in der Geschichte zu befinden.

 

Die eigentlich Handlung wird aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers geschildert. Er beobachtet das Aufwachsen der beiden Kinder bis zum großen Showdown am Ende des Romans. Dabei verfolgt er zwei unterschiedliche Zeitstränge, die erst am Schluss zusammengeführt werden. Der eine schildert die Ereignisse um Celia und Marco und die Wette, der andere begleitet den jungen Bailey und zeichnet seine wachsende Liebe zum Zirkus nach. Die Sprache der Autorin ist sachlich und ohne große Schnörkel, dabei aber von einer simplen Schönheit. Mit der Verwendung des Präsens als Erzählzeit hat sie eine gute Wahl getroffen, denn so hat man noch deutlicher das Gefühl, selbst an den Ereignissen teilzunehmen, sie zu beobachten, gerade während sie geschehen. Darüber hinaus setzt Erin Morgenstern die Gestaltung ihres “Cirque de Rêves” auch in der Geschichte um. Farben spielen eine wichtige Rolle, so tragen beispielsweise die Anhänger der Zirkus’ immer etwas rotes an ihrer Kleidung.

 

Es ist die Liebe zum Detail, die für mich diesen Roman ausmacht, sei es in der Gestaltung des Zirkus selbst oder in der Zeichnung der Figuren. Wenn man als Leser mit Bailey und den Zwillingen durch die vielen Zelte auf dem Zirkusgelände streift, so verliert man sich beinahe selbst zwischen den schwarz-weißen Zelten und vergisst dort die Zeit. Man hat einen leichten Geruch von Zuckerwatte in der Nase und den Geschmack von Apfelwein auf der Zunge. Man möchte sich selbst einen roten Schal um den Hals binden, dem Zirkus nachreisen und sie alle kennenlernen: Chandresh, den Zirkusdirektor, der ebenso merkwürdige wie elegante Abendgesellschaften in seinem Haus veranstaltet. Herrn Thiessen, den Uhrmacher, dessen Uhren wahre technische Wunderwerke sind und Mr. Barris, den Architekten, der den Zirkus und jedes seiner wundervollen Zelte entworfen hat. Aber auch die Artistin Tsukiko, die Burgess-Schwestern, Madame Padva, Bailey und die Zwillinge machen aus der Geschichte erst das, was sie ist: ein Traum!

 

In vielen anderen Rezensionen habe ich gelesen, dass viele enttäuscht waren, nicht mehr über die Wette und ihre Bedingungen zu erfahren. Dieser Meinung kann ich mich nicht anschließen. In meinen Augen ist es nicht wichtig, die genauen Regeln der Wette zu kennen, denn auch Celia und Marco wissen selbst nicht mehr darüber, als der Leser. Und nur so hat dieser die Möglichkeit, in die Geschichte einzutauchen, ohne bereits alle Geheimnisse zu kennen. Für mich kommt es viel mehr auf die vielen Ereignisse an, die zwar die Handlung nicht vorantreiben, die aber dennoch unbestreitbar schön sind, wie beispielsweise Baileys Entdeckungen in den einzelnen Zelten oder seine Reise mit den Rêveurs. Diese machen für mich die wahre Schönheit des Buches aus, denn die liegt im Detail und nicht unbedingt im großen Ganzen. Über den Schluss will ich nicht viel verraten, nur so viel: Für mich war er perfekt.

 

Fazit: Ein traumhafter Roman, der eine wundervolle Gestaltung mit einer tollen Geschichte und liebenswerten Figuren verbindet.