Der namenlose Tag

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Einen gewöhnlichen Spannungsroman oder Krimi darf man von Friedrich Ani nicht erwarten. Genauso wenig wie einen der üblichen Ermittler.
Es sind eigenwillige Figuren, die in Anis Romanen nach so etwas wie Wahrheit suchen. Nach dem, was wirklich passiert ist, als das, was wir Verbrechen nennen, geschah. Unvergessen ist der "Vermissten-Finder" Tabor Süden, oder auch der Ex-Mönch Polonius Fischer.
Und nun der pensionierte Kriminalbeamte Jakob Franck, einst spezialisiert darauf, Todesnachrichten zu überbringen.

Sie alle sind nachdenklich, introvertiert, zurückgezogen, mit mehr oder weniger gescheitertem Privatleben. Unkonventionell in ihren Ermittlungsmethoden.

Und genauso ungewöhnlich sind die Fälle, die den Romanen Friedrich Anis zugrunde liegen. Keine bestialischen Ritualmorde, keine Gewalt im Bandenmilieu, keine politischen Intrigen. Es sind die stillen Fälle, die plötzlich Verschwundenen, die leisen Morde aus Verzweiflung, oder wie hier in "Der namenlose Tag" ein 20 Jahre zurückliegender Selbstmord einer 17jährigen, in dem Franck einst ermittelte.

Die Schülerin Esther hat sich eines Tages im Park erhängt. Da es keine näheren Hinweise auf ein Fremdverschulden gab und Klassenkameraden von einer neuerdings bei ihr festzustellenden Schwermut berichteten, wurde nicht weiter ermittelt. Auch die Eltern widersprachen der Selbstmordthese nicht.

Nun steht aber der Vater Ludwig Winther vor Jakob Francks Tür und bittet ihn, den Fall wieder aufzunehmen. Er glaube an einen Mord.
Winther ist ein tief verstörter Mann, seine Frau beging ein Jahr nach Ester ebenfalls Selbstmord, er selbst trank, scheiterte beruflich.

Franck, selbst ein wenig traumatisiert, verfolgt von den vielen Toten seiner Laufbahn und nach der Pensionierung beschäftigungslos und einsam, nimmt sich den Fall noch einmal vor. Befragt alte Kollegen, Familienmitglieder und Freunde. Was ihn auszeichnet, ist seine große Fähigkeit zum Zuhören, seine Beharrlichkeit. Was er dadurch herausfindet, ist nichts Spektakuläres, nichts, was das Geschehen völlig umwirft. Aber es zeigt ein kleines Stück unbequemer Wahrheit, zwingt die damals beteiligten, noch einmal genau hinzusehen. Zeigt uns Lesern wieder einmal ein kleines wahres, aber auch bitteres Stück Leben und wie Menschen an der Unfähigkeit miteinander zu reden zerbrechen.

Einsamkeit ist ein großes Motiv und die Verheerungen, die bei denen entstehen, die zurückbleiben.
Und so besteht auch das Buch zum großen Teil aus meisterhaften Monologen, dem verzweifelten Versuch, das Geschehen, das Leben selbst zu verstehen.

Das ist sehr eindrücklich, melancholisch, ja sogar tieftraurig und sehr entschleunigt erzählt. Auf dieses Entschleunigte muss man sich einlassen können. Dann erfährt man bei Friedrich Ani viel über die Menschen und ihren Kampf um ein bisschen Glück, und leider auch oft über ihr Scheitern. Und das in hoher sprachlicher und literarischer Qualität.