Schweigen und Lügengewirr

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mammutkeks Avatar

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Ein Kommissar, der keiner mehr ist, ein Selbstmord, für den nach 20 Jahren geklärt werden soll, ob es nicht doch ein Mord war - das sind die Zutaten für den "Namenlosen Tag" von Friedrich Ani, ein Buch, das an ein Kammerspiel erinnert, auch wenn die Protagonisten nicht im eigenen Kämmerlein verharren, sondern durchaus unterwegs sind.
Keine große Handlung, sondern das Sezieren einer Familienkonstellation, die vor 20 Jahren vor allem von Schweigen und Lügen geprägt war. Ex-Kommissar Jakob Franck, vor einigen Monaten in seine ungewollte Rente verabschiedet, wird von Ludwig Winther aufgesucht, dem Vater von Esther, die 20 Jahre zuvor Selbstmord begangen haben soll. Franck war damals nicht an den Ermittlungen beteiligt, hatte aber der Mutter die Todesnachricht überbracht und mit dieser etwa sieben Stunden lang im Flur gestanden, bis diese die Nachricht einigermaßen verdaut hatte. Die Mutter hat dann wiederum ein Jahr später ebenfalls Selbstmord begangen - warum, war wie bei Esther ein Meer an Spekulationen.
Winther wurde durch die Dezimierung seiner Familie zunächst Alkoholiker, dann fast obdachlos, dann konnte er sich gerade noch als Getränkefahrer aus dem eigenen Sumpf ziehen. Doch eine Zukunft hatte er nie, so scheint es zumindest Franck. Franck wiederum wird von den Geistern seiner Ermittlungen heimgesucht. Sie sitzen bei ihm zuhause am Kaffeetisch, lassen ihn nicht zur Ruhe kommen und begründen wohl auch, dass sich Franck nun mit diesem alten Fall beschäftigt.

Anis Schreibweise ist ganz besonders. Selten habe ich so viele Semikola in einem Text gesehen wie hier. Und auch der Gedankenstrich kommt häufig zum Einsatz - das liegt mir dann schon mehr, ist er doch auch einer meiner liebsten Satzzeichen. Mithilfe der Semikola-Sätze werden die Gedanken der Protagonisten ausgedrückt, die nicht immer gradlinig daherkommen, sondern durchaus - wie im wahren Leben - verworren sind, Umwege beschreiten und auch nicht immer völlig ausformuliert sind. Franck denkt sehr viel - und auch in die Köpfe von Winther und anderen Personen wirft Ani den ein oder anderen Blick.
Das macht die Geschichte langsam, oftmals auch ein wenig langweilig. Dennoch ist die Absicht, sich über die Folgen von zu viel Schweigen und zu viel unausgesprochenen Regeln und Voraussetzungen einmal intensiv Gedanken zu machen, äußerst löblich. Die Frage ist, ob es dazu dieses Krimis bedurft hätte. Und so bleibt mein Eindruck vom "Namenlosen Tag" gespalten. Es hat mir nicht viel Vergnügen bereitet, das Buch zu lesen. Dennoch bin ich von der Message des Buches überzeugt.